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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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ohne ersichtliche Anstrengung, nur mit den Fingern die Lederschnur in kleine Fetzen. Während er Stückchen für Stückchen zu Boden fallen ließ, entwich gleichsam die Luft aus Kusma. Er zog den zottigen Schädel zwischen die mächtigen Schultern und schob sich rückwärts zur Wand.
    »Die Kapelle ist von Polizeiagenten umstellt«, sagte Fandorin, nachdem er mit der Peitsche fertig war. »Diesmal werden Sie sich für Ihre Willkür verantworten, Jeropkin.«
    Aber diese Mitteilung ließ den Blutsauger ungerührt.
    »Nichts ist«, fauchte er. »Das wird mit Geld erledigt.«
    Der Hofrat holte Luft und stieß in die silberne Pfeife. Auf den schrillen Laut hin kamen die Agenten in die Kapelle gepoltert.
    »Die werden aufs Revier gebracht.« Er zeigte auf Jeropkin und seine Gehilfen. »Ein Protokoll. Was ist in dem Sack?«
    »Der gehört mir«, sagte Jeropkin schnell.
    »Was ist drin?«
    »Geld. Zweihundertdreiundachtzigtausendfünfhundertzwei Rubel. Mein Geld, Gewinn aus dem Handel.«
    »Solch ein hübscher Betrag in einem Sack?« fragte Fandorin kühl. »Haben Sie darüber Finanzdokumente? Herkunftsnachweise? Steuerbescheinigungen?«
    »Mein Herr, auf ein Wort …« Jeropkin sprang vom Stuhl auf und eilte auf den Hofrat zu. »Ich weiß doch Bescheid …« Er flüsterte: »Zweihunderttausend für mich, das Übrige zu Ihrer Verfügung.«
    »Abführen«, gebot Fandorin und wandte sich ab. »Ein Protokoll. Das Geld zählen und ordnungsgemäß verbuchen. Die Akzisebehörde soll sich darum kümmern.«
    Als die vier Festgenommenen weggebracht waren, ertönte plötzlich eine muntere, allenfalls leicht belegte Stimme: »Das ist natürlich edel, die Bestechung abzulehnen, aber soll ich hier noch lange hängen wie ein Sack? Ich habe schon Kringel vor den Augen.«
    Anissi und Fandorin faßten den Hängenden bei den Schultern, und das wiederauferstandene Fräulein – hieß sie nicht Mimi? – stieg auf den Tisch und löste die Seile.
    Der Märtyrer wurde auf den Fußboden gesetzt. Fandorin riß ihm den falschen Bart und die weiße Perücke ab, und zum Vorschein kam ein Durchschnittsgesicht: eng beieinander sitzende graublaue Augen, helle Haare mit ausgeblichenen Spitzen, eine ausdruckslose Nase, ein etwas fliehendes Kinn – alles so, wie Fandorin es beschrieben hatte. Von dem Blutandrang war das Gesicht puterrot, aber die Lippen verzogen sich sofort zu einem Lächeln.
    »Machen wir uns bekannt?« fragte der Pikbube fröhlich. »Ich hatte wohl noch nicht die Ehre …«
    »Ach, auf den Sperlingsbergen, das waren nicht Sie?« Der Chef nickte verständnisvoll. »So, so.«
    »Auf welchen Bergen?« fragte der Spitzbube frech. »Ich bin der Husarenkornett Kurizyn im Ruhestand. Soll ich Ihnen meinen Ausweis zeigen?«
    »Später«, sagte der Hofrat kopfschüttelnd. »Bitte sehr, ich stelle mich gern nochmals vor. Ich bin Erast Petrowitsch Fandorin, Beamter für Sonderaufträge beim Moskauer Generalgouverneur und kein besonderer Liebhaber von unverschämten Streichen. Und das ist mein G-Gehilfe Anissi Tulpow.«
    Da der Chef wieder leicht stotterte, dachte sich Anissi, daß die schlimmste Anspannung vorüber sei, und erlaubte sich die kleine Schwäche, einen verstohlenen Blick auf Mimi zu werfen.
    Siehe da, auch sie blickte ihn an. Mit einem leichten Seufzer wiederholte sie: »Anissi Tulpow. Schön. Damit kannst du im Theater auftreten.«
    Plötzlich zwinkerte Momus – er war es natürlich – Anissi ungeniert zu und streckte ihm die spatenbreite und erstaunlich rote Zunge heraus.
    »Nun, Herr Momus, wie verfahre ich jetzt mit Ihnen?« fragte Fandorin und sah zu, wie Mimi ihrem Gefährten die Schweißtropfen von der Stirn wischte. »Nach dem Gesetz oder der G-Gerechtigkeit?«
    Der Pikbube überlegte ein wenig.
    »Wenn wir uns nicht heute zum erstenmal gegenüberstünden«,sagte er dann, »sondern schon einige Erfahrungen miteinander hätten, würde ich mich selbstredend völlig auf Ihre Barmherzigkeit verlassen, denn in Ihnen erkennt man sofort den feinfühligen und vornehmen Menschen. Sie würden zweifelsohne die von mir durchgestandenen seelischen und physischen Martern berücksichtigen, aber auch den unappetitlichen Anblick des Subjekts, über das ich mich so erfolglos lustig gemacht habe. Doch die Umstände haben sich so gefügt, daß ich mit Ihrer Menschlichkeit keinen Mißbrauch zu treiben brauche. Mich deucht, daß ich die strenge Umarmung des Gesetzes nicht zu fürchten habe. Seine schweinische Exzellenz Samson Jeropkin dürfte mich
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