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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker
Autoren: B Akunin
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Schurke Momus hatte an dem Geld für einen guten Anwalt gespart und diesen unansehnlichen Mickerzwerg geschickt, der dazu noch ein Jude war. Die judenfeindlichen Geschworenen starrten ihn finster an, sie würden ihm kein Wort glauben.
    Anissis Nachbar zur Linken, ein Herr mit buschigem Vollbart und Goldrandbrille, der wie ein Kalmücke aussah, musterte den Advokaten kopfschüttelnd und raunte Anissi verschwörerisch zu: »Der verdirbt alles, Sie werden sehen.«
    Der Verteidiger stellte sich mit dem Gesicht zu den Geschworenen auf, stemmte die Hände in die Hüften und sprach mit singendem Akzent: »Herr Richter, meine Herren Geschworenen, können Sie mir erklären, worüber der da eine geschlagene Stunde lang geredet hat?« Er zeigte geringschätzig mit dem Daumen auf den Staatsanwalt. »Ich wüßte gern, was das ganze Hickhack soll. Wofür wird das Geld ehrlicher Steuerzahler wie Sie und ich hier verschwendet?«
    Die »ehrlichen Steuerzahler« musterten den hemdsärmeligen Schwätzer mit unverhohlenem Abscheu, doch das focht den Advokaten nicht im geringsten an.
    »Was hat die Anklage in der Hand?« fragte er skeptisch. »Ein Gauner, den unsere ruhmreiche Polizei, unter unsgesagt, nicht erwischt hat, plant einen Bubenstreich. Er engagiert dieses nette, bescheidene Fräulein für den Verkauf der Eintrittskarten und sagt ihr, das Geld diene wohltätigen Zwecken. Sehen Sie sich dieses junge Mädchen an, meine Herren Geschworenen. Ich beschwöre Sie, kann man dieses unschuldige Wesen eines Verbrechens verdächtigen?«
    Die Geschworenen betrachteten die Angeklagte. Auch Anissi sah hin – und seufzte. Die Sache schien verloren. Ein anderer würde das Gericht wohl erweicht haben, nicht aber diese Langnase.
    »Das glauben Sie doch selber nicht.« Der Verteidiger machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie ist genauso geschädigt wie die anderen, sogar noch mehr, denn die Kasse der sogenannten Lotterie wurde beschlagnahmt, und alle, die ein Eintrittsbillett vorweisen konnten, bekamen ihr Geld zurück. Richten Sie dieses junge Geschöpf nicht zugrunde, meine Herren Geschworenen, verurteilen Sie sie nicht zu einem Leben unter Verbrechern.«
    Der Advokat nieste wieder und zog einen Stoß Papiere aus seiner Aktentasche.
    »Schwach«, kommentierte Anissis Nachbar kaltblütig. »Das Mädchen wird verurteilt. Wollen wir wetten?« fragte er mit einem Augenzwinkern.
    Der findet das auch noch lustig! Anissi rückte ärgerlich ab und machte sich auf das Schlimmste gefaßt.
    Aber der Verteidiger war noch nicht fertig. Er zupfte an seinem Graf-Beaconsfield-Spitzbart und drückte treuherzig die Hand an sein nicht ganz frisches Hemd.
    »Ungefähr so würde ich zu Ihnen gesprochen haben,meine Herren Geschworenen, wenn es überhaupt etwas zu reden gäbe. Das ist aber nicht der Fall, denn ich habe hier«, er schwenkte die Papiere, »Erklärungen von sämtlichen Klägern. Sie alle ziehen ihre Klage zurück. Stellen Sie das Verfahren ein, Herr Vorsitzender. Es gibt nichts zu richten.«
    Der Anwalt trat zum Richter und knallte ihm die Erklärungen auf den Tisch.
    »Sehr geschickt«, flüsterte Anissis Nachbar hingerissen. »Na, was sagt der Staatsanwalt?«
    Der Staatsanwalt sprang auf und schrie mit vor Zorn überschnappender Stimme: »Das ist Bestechung! Ich werde es beweisen! Das Verfahren darf nicht eingestellt werden! Der Fall ist von gesellschaftlicher Relevanz!«
    Der Verteidiger drehte sich zu dem schreienden Staatsanwalt um und äffte ihn nach: »›Bestechung! Bestechung!‹ Sieh mal an, ein neuer Cato. Es wäre billiger, Sie zu kaufen, Herr Ankläger. Jeder weiß, daß Ihr Preis nicht hoch ist. Ich habe hier übrigens auch eine Quittung von Ihnen. Wo ist die denn? Ah, hier.« Er zog noch ein Papier aus der Aktentasche und hielt es dem Richter unter die Nase. »Für nur tausendfünfhundert hat unser Staatsanwalt dem Heiratsschwindler Brutjan eine polizeiliche Maßnahme verraten und ihm damit die Flucht ermöglicht.«
    Der Staatsanwalt griff sich ans Herz und sank auf seinen Stuhl. Im Saal erhob sich Stimmengewirr, und die Reporter, eben noch gelangweilt, fuhren auf und kritzelten in ihre Notizblöcke.
    Der Richter läutete die Glocke und blickte irritiert auf die Quittung, der unangenehme Verteidiger aber machte eineungeschickte Bewegung, da fielen aus seiner unergründlichen Aktentasche ein paar Photos auf den Richtertisch. Was darauf abgebildet war, konnte Anissi nicht sehen, doch der Richter wurde plötzlich kreideweiß und starrte
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