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Runen

Runen

Titel: Runen
Autoren: Elias Snæland Jònsson
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einzelner Zeichen, die bei der Datierung und örtlichen Einordnung des Textes dienlich sein können.
    In der vorliegenden Romanübersetzung habe ich dem unterschiedlichen Alter und der Lokalität der Teiltexte von Gotatýrs Runenlied dadurch Rechnung getragen, dass ich sie in drei unterschiedliche Sprachstufen übertragen habe. Der älteste ist (in etwa) Gotisch (ca. 300 n. Chr.), der zweite soll einer sehr alten Form des Westnordischen ähneln, die man früher Urnordisch nannte (vor 500 n. Chr.), und der dritte kommt in etwa dem mittelalterlichen Isländisch (um 1100 n. Chr.) nahe.
    Bei diesem hohen Alter der Texte ist es verständlich, |406| dass allein ihre Entzifferung auf den oft verwitterten und beschädigten Steinen, Schmuckstücken und sonstigen Artefakten schwierig ist. Die Schreibrichtung verläuft zwar meist von links nach rechts, doch gibt es auch Inschriften in umgekehrter Richtung – die dann konsequent die Runen auch umdrehen (Ähnliches kennt man von den Hieroglyphen, die dem Leser ebenfalls immer entgegenblicken). Wenn die Runen bestimmt worden sind, fängt die richtige Deutung erst an. Zwar gelingt es, durch die relativ nahe Verwandtschaft der Sprachen untereinander die Bedeutung vieler Wörter zu enträtseln. So kann man mit etwas Phantasie in dem Fragment
»ek worahto«
die Bedeutung
»ich wirkte«
erkennen – die Runen nämlich (die Runenmeister bezeichneten ihre Tätigkeit oft als »Runen ritzen, schreiben« oder eben »wirken«). Die Sprachforscher kennen die Regeln ziemlich gut, nach denen sich die einzelnen Laute und Wörter im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben. Wenn es denn immer Wörter wären. Da gibt es zwar Widmungstexte wie
»Hahvar wünscht Gutes und Liebes der Ida«
, Bezeichnungen des Urhebers wie
»Mich stellte Merila her«
oder Formeln wie
»Der Schmuck ist Schutz vor Toten«
. Viel häufiger aber sind nur einzelne Buchstaben oder gar die ganze Futhark-Reihe selbst. Und hier haben Runologen wirklich ein Problem. Es ist zwar bekannt, dass die Runen nicht nur einen Lautwert hatten, sondern darüber hinaus kraft ihres Namens auch einen bestimmten Begriffswert. Im Roman findet Melkorka die Runen
Ansuz
und
Tiwaz
in Felsen eingeritzt:
Ansuz
bedeutet das nordische Göttergeschlecht der Asen (das n vors ging im Laufe der Zeit verloren), und
Tiwaz
veränderte sich z. B. im Isländischen zu
Týr
, dem nordischen Himmelsgott – der im Tuesday und |407| unserem Dienstag noch heute sein Dasein fristet. Das aber ist fast schon alles. Es ist nicht überliefert und wir wissen demnach nicht genau, welche tatsächliche Bedeutung es für den Runenschreiber oder -träger hatte, die
Ansuz -Ru ne
mit sich herumzutragen. Es ist anzunehmen, dass die Menschen damaliger Zeit ebenso wie heute eine gewisse Schutzbedürftigkeit gegenüber den Unvorhersehbarkeiten des Lebens empfanden. Von daher liegt die Annahme nahe, dass bestimmte Runen vor spezifischen Gefahren beschützen sollten – wie wahrscheinlich erst recht die gesamte Runenreihe den umfassendsten Schutz beinhaltete, eine Art Rundum-Sorglos-Versicherung. Hierin zeigt sich ein weiterer, offenkundig bedeutsamer Aspekt der Runeninschriften, der heute noch am bekanntesten sein dürfte: die magische Wirkung. Nicht nur einzelnen Buchstaben, sondern auch Wörtern wurde magische Wirkung zugeschrieben – freilich ohne dass wir heute immer genau wüssten, welche Vorstellung sich damit verband. So kennt man beispielsweise die Runeninschrift
»þmkiiissstttiiilll«
, die allgemein anerkannt als
»þistil – mistil – kistil«
aufgelöst wird – ein wohllautender, magischer Spruch mit der Bedeutung »Distel – Mistel – Kistchen«. Leider ist nicht überliefert, wofür oder wogegen dieser Spruch half (fällt uns hier nicht der gute alte Catweazle mit seinem wunderbar lautmalerischen
Salmay – Dalmay – Adonay
ein?). Eines der häufigsten magischen Wörtchen ist
alu
, das ich im mittleren Vers von Gotatýrs Runenlied versteckt habe; auch dessen Herkunft und Bedeutung ist völlig unklar. Anders verhält es sich mit
»linalaukaR«
, das »Lein und Lauch« bedeutet und oft auch nur als
»ll«
oder
»lr«
abgekürzt wird. Dahinter scheint ein Fruchtbarkeitszauber zu |408| stecken, da in der Saga von Olaf dem Heiligen ein heidnischer Ritus mit einem in Leinen und Lauch präparierten Pferdephallus erwähnt wird. Es ist demnach klar, dass viele der Inschriften schon von vornherein aus Platzgründen und auch schlicht wegen des Aufwands (versuchen Sie doch
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