Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
haben Sie gesehen, wie es passiert ist? Waren Sie dabei
gewesen?«
    Er kannte ihre Antwort im Voraus.
    Katharina wendete den Blick hin zu ihrem Vater, um den sich Chili
kümmerte. Sie schaute hin zur Baugrube. Dann kam ihr Blick zurück zu Ottakring.
»Nein«, sagte sie mit fester Stimme.
    »Und warum sind Sie gleich darauf abgehauen?« Er nahm die Hände von ihrer
Schulter.
    Sie überlegte nur kurz. »Weil ich’s mit ihm nicht mehr ausgehalten
hab.«
    Selten war Ottakrings Nervosität so ausgeprägt gewesen wie
heute. Nicht weil heute der Tag war, an dem sein erster Fall als Rosenheimer
Mord-Chef gelöst war und er wieder diesen stechenden Schmerz in seinem Rücken
fühlte. Auch nicht, weil er einsah, dass der Mordfall vor vierzehn Jahren wohl
nie mehr bewiesen werden konnte. Nein, sein Zustand rührte daher, dass heute
der Tag war, an dem sich entschied, ob Lola intakt bleiben würde oder nicht.
Alle paar Minuten schaute er auf die Uhr.
    »Robert Speckbacher hat bei Google und Yahoo gezielt nach
›Torsade de pointes‹ gesucht«, berichtete Eva M. später nicht ohne Stolz.
Sie durfte bei der Abschlussbesprechung dabei sein. »Und er hat eine eigene
Datei darüber geführt. Darin hat er exakt festgehalten, wie er das, was er dort
erfahren hat, bei Kirchbichler anwenden würde. So lässt sich genau
rekonstruieren, wie Kirchbichler ums Leben gekommen ist.«
    Ein kleiner Muskel in Eva Mathildes Mundwinkels zog sich zusammen.
Das nachfolgende Grinsen wurde dadurch etwas schief. »Reihe zehn«, sagte sie.
»Plätze sechzehn und siebzehn.«
    Ottakring sah Chili an. Chili sah Ottakring an. »Ha?«, sprachen
beide im Chor.
    »Na, Ihr Weihnachtsgeschenk für Lola halt«, rief Eva M.
Ottakring zu. »Die Salzburger Festspiele. Remember?«
    »Übrigens«, sagte Chili, »diese Johanna von der
Nachbarschaftshilfe hat angerufen. Sie hat Paula tatsächlich unterbringen
können. Die ist jetzt versorgt, die arme Kleine.«
    Ottakring schielte zur Seite.
    Chili faltete die Hände und stotterte: »Ich – ich muss mich
ja – eh jetzt um meine Mutter – Mutter kümmern.«
    Doch gleich fing sie sich wieder. »Wann erfährt Lola eigentlich ihr
Ergebnis?«, fragte sie Ottakring.
    »Um sechzehn Uhr fünfundvierzig hat sie den Arzttermin«, sagte
Ottakring.
    Chili spuckte eine Schote aus. »Ich glaub übrigens, dass wir in
Silbernagls Haus das Motiv für den Mord gefunden haben.«
    »Erzähl«, sagte Ottakring unkonzentriert.
    »Bündelweise Bargeld im Tresor. Bruni ist immer noch am Zählen. Er
ist schon bei über eineinhalb Millionen Euro.«
    »Sauber«, sagte Ottakring. »Ich sag’s ja. Mit einem Mord wird oft
ein ganzer Sack von Fakten hochgespült, die vorher als große Geheimnisse
gehütet wurden. »Was ist eigentlich mit unserer lieben Kathi? Gibt’s die noch?«
    »Oh ja«, sagte Chili. »Ich bin mir sicher, sie ist die einzig
Unschuldige in dem Kirchbichler-Spiel. Aber frei ist sie nicht. Sie lechzt
förmlich nach ihrem Charly. Ich glaub, wenn Sex strafbar wäre, käme Katharina
Silbernagl lebenslang in Sicherheitsverwahrung.«
    Chilis Miene veränderte sich. Ottakring hatte den Eindruck, als sei
in ihrem Kopf ein völlig unmotivierter Gedanke aufgeblitzt.
    »Ihr Freund Kevin Specht«, sagte sie mit Schalk im Blick.
    »Ja, was ist mit dem?«
    »Der trägt den Arm in der Schlinge.« Sie kicherte leise. »Er hatte
einen Auffahrunfall. Ein Hund ist auf die Straße gerannt, und das Auto vor
Specht musste scharf bremsen.«
    »War da ein Christbaum im Spiel?«, fragte Ottakring grinsend.
    »Keine Ahnung«, sagte Chili.
    »Ach, entschuldigen Sie.« Ein Mann in den Sechzigern stand plötzlich
vor Ottakring. Er trug Jeans, hatte eine schiefe Nase und dicke Tränensäcke.
»Ich bin Schriftsteller und verfolge interessiert Ihren Fall. Könnten Sie mir
ein paar Details verraten? Heute ist der neunzehnte Dezember. Ich möchte
vielleicht einen Roman darüber schreiben.«
    »Wenden Sie sich an Kommissarin Toledo«, sagte Ottakring mürrisch.
Schriftsteller mochte er nicht. Schriftsteller vor ihrem Schreibgerät waren wie
Sträflinge, die einen Großteil ihres Lebens in Einzelhaft verbringen.
    Das war der letzte dienstliche Satz, den Ottakring an diesem Tag
sprach. Dann verkroch er sich in seine Wohnung und verdunkelte die Fenster.
Herr Huber schmiegte sich an ihn und schnurrte wie eine Katze. So warteten
beide, der Mann und der Hund, auf den Anruf ihrer Herrin.
    Heute war der dreizehnte Tag.

Danke
    PHK Dieter Bezold, Polizeidirektion
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher