Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opernball

Opernball

Titel: Opernball
Autoren: Josef Haslinger
Vom Netzwerk:
 
    Reso Dorf bleibt ein »Bauernführer«
     
    Bei der Vereidigung von Revierleitern greift der Wiener Polizeipräsident erneut zu offenen Worten.
     
    Polizeipräsident Reso Dorf, mittlerweile für seine entschlossene und volkstümliche Sprache wohlbekannt, begann seine Rede anläßlich der Angelobung von neuen Revierleitern auf dem Wiener Heldenplatz zunächst mit nachdenklichen Tönen.
    »War es nicht auch eine Prüfung«, fragte er im Hinblick auf die Opernballkatastrophe, »die härteste Prüfung, die unser Land in Friedenszeiten heimgesucht hat?«
    Doch gleich darauf fand er entschlossenere Worte. »Warum«, so wetterte er zu den angetretenen Kommandanten, »haben wir nicht rechtzeitig die Zügel in die Hand genommen? Diesem Gesindel die Stirn geboten? Mit eisernen Schlägen vernietet, was noch nicht hoffnungslos zerrissen war? Warum haben wir nicht aufgeräumt? Entrümpelt? Das Unkraut ausgerissen, solange es noch klein war?«
    Ein Recht ohne Macht, so erklärte Reso Dorf den strammstehenden »Bauernburschen«, sei zum Untergang verurteilt und stürze den ganzen Staat in den Abgrund.
    Bei seiner Antrittsrede im März hatte sich Reso Dorf als »Bauernführer« bezeichnet. Ein Polizist, so hatte er damals gemeint, müsse mißtrauisch sein wie ein Bauer.
    Seine Rede vor den frisch ernannten Kommandanten wurde von Satz zu Satz bilderreicher.
    Wörtlich führte er aus: »Wir haben diese Sonderlinge unterschätzt, wir haben diese Aufsässigen für lächerliche Subjekte gehalten, haben zugelassen, daß sie alles besudelten, heruntermachten, entehrten und hemmungslos schändeten.
    ›Es sind doch nur Schwächlinge‹, haben wir gesagt. ›Die sind ein Furz, den wir, wenn er uns zu sehr stinkt, einfach durch das Fenster entlassen.‹ Und wir haben darüber gelacht. Zweifellos werden sich einige von Ihnen an solche Sprüche erinnern: ›Die haben wir im Griff.‹ ›Die spritzen wir, wenn sie übermütig werden, von der Straße.‹ ›Die treiben wir über die Donau.‹
    Bis uns plötzlich das Lachen verging, als sich herausstellte, daß in diesem Dschungel von Halbaffen, Ratten und Schmeißfliegen die gefährlichsten Täter herangereift waren, die unser Land bislang gesehen. Auf einmal war es zu spät, und wir knickten ein wie morsches Gerümpel.
    Während der Bogen des Zumutbaren täglich aufs neue überspannt wurde, empfingen wir Menschenrechtsdelegationen und führten ihnen unsere Gefängnisse vor.
    ›Liberalität, Toleranz‹, hieß es, ›Freiheit der Meinungsäußerung, Demonstrationsrecht.‹ Aber das hat, verdammt noch mal, alles doch irgendwo seine Grenze.
    Wenn ein Hund sein Wasser abschlägt, dünn und stinkend... Ich werde hin und wieder wegen meiner Ausdrucksweise kritisiert. Aber feine Worte sind hier ganz und gar fehl am Platz.«
    Sagte es und ließ am Schluß seiner Rede an Deutlichkeit nichts vermissen:
    »Wenn ein Hund sein Wasser abschlägt, ist nach kurzer Zeit alles vorbei. Eine kleine Menge unangenehm riechender Flüssigkeit, die am Wegrand versickert.
    Doch bei diesen Bestien war es anders. Wir haben ihnen die Wegränder überlassen und nicht darauf geachtet, daß hier kein Einhalt ist, daß die Gülle immer weiterrinnt, daß sich überall Drecklachen bilden, im Winter von milchig brüchigem Eis bedeckt, mit gelben Schlieren darin, daß bereits das ganze Land von Jaucherinnsalen überzogen ist und daß die Kloake unaufhörlich ansteigt, den fruchtbaren Boden versumpft und alles in einen dumpf vor sich hin faulenden Zustand versetzt, bis sich ein Urinteich bildet, ein Jauchesee, ein Güllemeer, durchzogen von Fäulnis, Tod und Verwesung, worin sich Gestalten entwickeln, die tausend Jahre im Licht der Sonne nicht mehr gesehen wurden. Da hätte es doch nur eines geben müssen – aber das haben wir versäumt.«
    An der Vereidigungszeremonie nahm auch der Bundespräsident teil. Nach der Feier, auf die Rede von Reso Dorf angesprochen, antwortete er: »Ich würde es anders ausdrücken, aber im Prinzip hat der Herr Polizeipräsident natürlich recht.«
    (APA/J.H.)

Der Kameramann
     
    Fred ist tot. Die Franzosen haben ihn nicht beschützt. Als die Menschen vernichtet wurden wie Insekten, schaute ganz Europa im Fernsehen zu. Fred war unter den Toten. »Gott ist allmächtig«, hatte ich als Kind gehört. Ich stellte mir einen riesigen Daumen vor, der vom Himmel herabkommt und mich wie eine Ameise zerdrückt. Wenn etwas gefährlich oder ungewiß war, hatte Fred gesagt: »Die Franzosen werden mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher