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Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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sollte.
    Alles war ruhig in Aschbach, dem Zweitausend-Seelen-Ort nahe der
     österreichischen Grenze. Sonntagsruhe. Ein grauer Tag in einer farbigen
     Jahreszeit. Nur schwach war die Silhouette der Kampenwand im Südosten
     erkennbar. Das platt getretene Gras am Straßenrand war stumpf und brüchig. Man
     hätte nicht glauben wollen, es könne sich jemals wieder mit einem dichten
     Muster von blauen und gelben Krokusblüten überziehen.
    Ottakring blickte nach rechts. Er schaute hinüber zum Russenhaus.
     Lola und er hatten das schräg gegenüberliegende Zweifamilienhaus so getauft,
     weil dort vor Kurzem russische Bewohner eingezogen waren. Ein Mann mit einem
     Jungen, vielleicht zehn Jahre alt, und ein offenbar alleinstehender Mann. Keine
     Frauen. Die beiden Wohnungen lagen übereinander.
    Mit dem Single hatte er sich angelegt. Ein Landrover hatte, als er
     am Freitag vom Dienst nach Hause kam, auf seinem Parkplatz vor dem Haus
     geparkt. » RUS« stand auf dem Aufkleber neben der
     Rosenheimer Nummer am Heck. Wütend hatte Ottakring den Porsche anderswo geparkt.
    Am Samstag hatte er den Besitzer zur Rede gestellt. »Würden Sie sich
     bitte zukünftig einen anderen Parkplatz suchen?« Bestimmt, aber freundlich
     hatte er das gesagt. Bloß nicht fremdenfeindlich erscheinen.
    Der andere verschränkte die Arme vor der Brust. Eine stiernackige
     Gestalt in einem Trainingsanzug aus blauem Nylon, silbergrauen Sneakers und
     einem ovalen, bartlosen Gesicht. Kalt und feindselig, so hatte Ottakring ihn
     nachher beschrieben, als er Lola den Vorfall schilderte. Kalt, feindselig und
     brutal. Geruch von altem Schweiß. Eine schroffe, scharfe Stimme.
    »Du wirst bald den Abgang machen«, sagte der Russe mit hartem
     Zungenschlag und machte ungeniert die Bewegung des Kehledurchschneidens. »Wenn
     du so weitermachst.« Das war gestern gewesen.
    Nun stand Ottakring vor seinem geschundenen Porsche und schaute
     hinüber zum Russenhaus. Er war Polizist genug, um zu wissen, dass er im Moment
     nichts unternehmen konnte. Dem Jungen hinterherrennen? Nein, bestimmt nicht.
     Herr Huber rieb die Schnauze an seiner Kniekehle.
    »Was ist, Schatz?« Lola hatte das Küchenfenster geöffnet. Sie setzte
     Kaffee auf. »Fehlt dir was?«
    Immer noch musste sich Ottakring an den Anblick gewöhnen. Seine
     schöne Lola wieder mit der Klappe überm Auge. Ihre Augeninfektion hatte als
     geheilt gegolten. Dann war sie aufs Neue ausgebrochen und hatte sie arg
     mitgenommen. Doch Lola wäre nicht Lola, wäre sie nicht felsenfest überzeugt
     davon, dass sich die Krankheit endgültig verziehen würde.
    Ottakring wischte die kleinen Tropfen ab, die sich über seiner Lippe
     gebildet hatten. »Ja«, sagte er. »Beweise. Beweise fehlen mir.«
    In der Nacht von Sonntag auf Montag, den 21. September,
     wurden sie gegen zwei Uhr von Musik geweckt. Mehr noch, sie schreckten hoch,
     als bebte die Erde. Die Wolken hatten sich an den Horizont verzogen, und der
     Mond stand hell und hoch am Himmel. Wie ein Unwetter toste der Lärm
     beängstigend durch den ganzen Hochriesweg. Hallte von den Häuserwänden wie ein
     Hurrikan und schrie eine unermessliche Drohung hinaus. Ottakring wusste sofort:
     Es war nicht nur Lärm. Das war Musik. Musik? Eine Weile klang es wie ein
     wütendes Kampflied. Dann verebbte das aufgebrachte Toben zu einem Klagegesang.
    »Schostakowitsch«, flüsterte Lola schlaftrunken.
    Denn nun klang es ein wenig wie die Jazzsuiten des russischen
     Komponisten. Und mischte sich später mit einer Gigantenversion eines
     Zithersolos. Dann wieder trampelte ein Elefant über die schwarzen Tasten eines
     Klaviers. Kein Takt und keine Melodie wiederholten sich. Es war wie eine aus
     allen Fugen geratene Sinfonie.
    Herr Huber winselte wie im Gewitter.
    Ottakring schlüpfte aus dem Bett und setzte sich auf dem Balkon der
     Wucht der Musik aus. Das Russenhaus war hell beleuchtet. Tanzende Schatten
     hinter Fenstern.
    Lola schmiegte sich eng an ihn. »Sollen wir uns quälen lassen?«,
     sagte sie.
    »Besser als ein Presslufthammer mitten in der Nacht«, sagte er.
     »Oder Fluglärm.« Er lächelte. Doch sein Lächeln wirkte verzweifelt und gequält
     im Schein des spärlichen Lichts.
    Jemand musste die Polizei gerufen haben. Doch als der Streifenwagen
     ohne Sirene und mit Blaulicht vor dem Haus stand, war alles dunkel drüben. Kein
     Mucks kam aus dem Russenhaus. Als wären sie gewarnt worden.
    »Jooooe! Ooottakriiiing!«
    Lolas Stimme. Hatte sie eine
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