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Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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aus ihm heraus, wie es Kathi noch vor einer halben
Stunde nicht für möglich gehalten hätte.
    » Dich hätt man umbringen sollen«, schrie
er sie mit schneidender Stimme an. »Dich. Nicht den Niki!«
    Kathi wich zurück. Ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren, während
Robert scharlachrot angelaufen war. Nur Paul Silbernagl beobachtete den
Ausbruch seines Sohnes scheinbar unbeteiligt vom Rollstuhl aus.
    Dieses Verhalten seines Vaters schien einen seltsamen Reiz auf
Robert auszuüben. Er lachte wie ein Wahnsinniger und ging auf ihn los.
    »Und mich hast du angestiftet. Weil du ein Krüppel bist. Sonst
hättest du’s selber getan, hast du gesagt. Du hast mir ein Vermögen dafür
versprochen, dass ich den Kerl auf die Seite schaff. Du hast mich zum
Alleinerben eingesetzt. Diese dumme Nuss hier sollte nur den Pflichtteil
kriegen. Und was ist jetzt? Was ist das hier? Jetzt ist alles genau
seitenverkehrt.« Schweiß stand auf seiner Stirn, als er mit dem Testament
herumwedelte, als wolle er die Luft damit durchschneiden.
    Plötzlich hielt er inne und wurde sehr ruhig. Ruckartig blies er
Luft durch die Nase. Nur sein Schnaufen war zu hören. Gebückt und mit tastenden
Schritten näherte er sich dem Vater. In den ausgestreckten Händen hielt er ihm
das Papier entgegen. Er war hässlich grün im Gesicht geworden.
    »Da, schau her«, zischte er in giftigem Flüsterton. »Was ich damit
mach. Ich zerreiß es vor deinen Augen. Dann ist nur mehr ein einziges Testament
übrig. Das in meinem Safe.«
    Kathi spürte, wie nun auch in ihr der Zorn hochkochte. Wie durch
einen Schleier nahm sie wahr, wie eine Bö Hunderte kleiner Schnitzel in die
Baugrube wehte. Und wie Robert, immer noch gebückt und mit ausgefahrenen
Krallen, langsam auf den Vater zuging. Wollte er ihm an die Gurgel gehen? Sie
musste einschreiten.
    Im selben Moment geschah etwas absolut Unwirkliches. Ihr Vater
packte Robert an den Handgelenken und erhob sich. Ja, er stand auf! Wie Stahl
schienen seine Hände Robert zu umklammern.
    Der war für einen kurzen Augenblick entsetzt, fing sich aber sofort
wieder. Mit dem Kopf stieß er seinen Vater vor die Brust.
    Silbernagl strauchelte und riss Robert mit.
    Roberts Kopf rammte gegen den Rollstuhl, Silbernagls Hand löste
sich, Robert glitt aus, rutschte über die Kante, wollte sich festhalten,
vergeblich, kriegte nur den Rollstuhl zu fassen, und mit einem lauten Aufschrei
stürzten beide, Robert und der Rollstuhl, in die Tiefe der Grube.
    Paul Silbernagl machte zwei kurze Schritte zur Seite. Kathi hatte
nicht den Eindruck, dass ihr Vater beabsichtigt hatte, einzugreifen. Sie selbst
war zu weit weg gewesen. Ihr Vater konnte stehen! Er war nicht gelähmt?
    Totenstille.
    Robert lag unnatürlich verkrümmt am Boden der Grube. Der Winkel, in
dem der Kopf von der Schulter abstand, betrug zirka fünfundvierzig Grad,
schätzte Kathi. Offene Augen starrten ausdruckslos nach oben. Aus einem tiefen
Riss über der Schläfe rann Blut übers Gesicht in den matschigen Sand.
    Um ihn herum pickte die Hühnerschar. Scharrte, pickte, scharrte.
Fast unmerklich bewegten sie sich auf Robert zu. Es schien, als planten sie
einen Zangenangriff auf seine Leiche.
    Verdammt, durchfuhr es Katharina Silbernagl. Die dritte Beerdigung
innerhalb von zwei Wochen. Eigenartigerweise schaute sie dabei auf die Uhr. Es
war dreizehn Uhr neun. Sie ließ ein paar Rosen aus dem Anhänger über ihren
Halbbruder rieseln. Wer war er?, fragte sie sich. Mein Bruder? Sie schüttelte
den Kopf und blickte ihren Vater an.
    »Er war der Assistent im Voglwirt«, sagte sie.
    *
    »Ruf den Notarzt«, sagte Ottakring zu Chili. Obwohl er
sehen konnte, dass da nichts mehr zu machen war.
    In einer Schneeverwehung waren sie stecken geblieben. Die Schaufel
im Kofferraum hatte ihren Dienst tun müssen.
    Sie hatten nur mehr Speckbachers Absturz mitgekriegt.
    »Der kann sich ja ohne Rollstuhl bewegen«, sagte Chili verblüfft und
deutete auf Paul Silbernagl.
    Katharina schilderte, was passiert war.
    Ob sie diesmal glaubwürdig war? Ottakring nahm ihren Arm und führte
sie zu ihrem Roller neben dem Schuppen.
    »Lügen Sie mich jetzt nicht an«, sagte er. »Der Brief stammt also
von Ihrer Mutter«, sagte er. »Wie kam er in Ihre Hand? Und wann?«
    Katharina Silbernagl sah ihm in die Augen. »Sie hat ihn mir
zugesteckt«, sagte sie. »Zwei Wochen, bevor sie damals umgekommen ist. Ich war
vierzehn Jahre alt.«
    Ottakring legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie lange
an. »Und –
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