Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
Schmerzen atmen.
    Sämtliche Phänomene, die sich angeblich an der
     Grenze zum Tod abspielen, sind bei mir nicht eingetreten. Ich sah kein Licht am
     Ende eines Tunnels. Mein Leben zog nicht wie ein Film an mir vorbei. Meine
     Seele verließ auch nicht den Körper und blickte von oben auf ihn herab. Ich bin
     am Leben.
    Dachte ich.
    Eine Sekunde später fällt das Atmen wieder
     schwer. Ich lasse mich aufs Kissen zurückfallen. Die Ärztin wischt mir mit
     einem Tuch übers Gesicht. Unter der Haut spüre ich Hitze, und ein kribbelndes
     Gefühl kriecht mir die Arme hoch. Ich merke noch, wie der Schweiß ausbricht.
     Dann spüre ich einen kurzen Nadelstich im Oberarm und falle wieder in Schlaf.
    Dass es ein Gebirgsschütze gewesen sein
     soll, ist mir erst später wieder eingefallen. Zunächst fehlt mir jegliche
     Erinnerung daran. Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Es ging um einen
     Parkplatz.

EINS
    Kriminalrat Josef »Joe« Ottakring hatte eine neue
     Liebhaberei für sich entdeckt: das Bügeln.
    Dafür hatte er sich ein eigenes Bügelzimmer eingerichtet. Ein
     Bügelbrett, ein Dampfbügeleisen, die weiße Wand, ein mannsgroßer Spiegel und
     ein offenes Fenster nach Südost – das war’s. Für ihn die beste Art der
     Entspannung, hatte er herausgefunden. Er konnte sich mit Herrn Huber
     unterhalten, seinem Hund, der sich immer in Hörweite aufhielt. Das Tier besaß
     alle Merkmale eines Berner Sennenhunds, nur war er kurzhaarig. Weiße Maske,
     weiße Schuhe, weiße Schwanzspitze. Oder Ottakring legte ein Oboen- oder ein Cellokonzert
     in den CD -Spieler. Jeden Tag, egal zu welcher
     Zeit, bügelte er ein Hemd oder zwei, ein T-Shirt oder auch schon mal ein Top
     oder eine Bluse für Lola. Die Straße, an der gewöhnlich sein Porsche parkte,
     konnte er vom Bügelzimmer aus nicht einsehen.
    Am Morgen des 20. September
     2009, einem
     Sonntag, bügelte er schon sehr früh. Draußen bogen sich im Garten zwei hohe
     Thujen und eine Zypresse im sanften Wind, nach Osten hin war körniges
     Morgenlicht. Ottakring dachte über sein Leben nach, das vergangene und das
     künftige. Ab und zu bohrte seine Zungenspitze Reste seines Morgenmüslis aus den
     Zähnen. Gedankenlos spuckte er sie auf den Boden. Sachte zischend fuhr das
     Eisen über die Manschette des blauen Baumwollhemds.
    Er hatte schlecht geschlafen, immer am Rand des Wachseins entlang.
     Nach einem verrutschten Kuss auf Lolas Mund war er schließlich aufgestanden.
    Ein schrecklich schrilles Geräusch scheuchte Ottakring vom
     Bügelbrett. Metall schlug gegen Metall und machte ein langsames, grässlich
     kreischendes Geräusch. Wie eine Kreissäge kurz vor dem Verenden.
    Das war’s, was Ottakring hörte.
    Herr Huber lag auf seinem Hundebett, ein Ohr heruntergeklappt, das
     andere gespitzt. Mit dem Kreischen stellte er beide Ohren auf und klopfte mit
     der Schwanzspitze ein paarmal auf den Boden. Als sein Herr aus dem Haus
     spurtete, sprang er auf und folgte ihm wedelnd. Ottakring schob zwei Thujen zur
     Seite und spähte durch den Zaun. Nichts. Er schloss die brusthohe Gartentür auf
     und trat auf die schmale Straße hinaus. Ein trüber Tag begann, untypisch für
     den Chiemgau in dieser Jahreszeit. Das Wetter war unentschlossen.
    Von dem Jungen sah Ottakring nur mehr die Hacken. Der Bub hatte ein
     signalgrünes Sweatshirt mit einer Aufschrift am Rücken an und hinkte beim
     Laufen. In der linken Hand schwenkte er etwas Langes, Blinkendes. Der Junge
     verschwand nach links und tauchte in eine Nebenstraße ein.
    Ottakring prägte sich das Bild ein.
    Herr Huber hatte den Porsche umrundet und schnüffelte am linken
     Hinterreifen. Ottakrings Autospielzeug stand auf dem reservierten Parkplatz vor
     dem Zaun aus Maschendraht, der das Grundstück umgab. Er wusste gleich, dass das
     widerliche Geräusch von vorhin etwas mit seinem Wagen zu tun hatte. Fast hätte
     er laut aufgeschrien, als er den zentimeterbreiten Streifen im gepflegten
     orangefarbenen Lack sah. Der Riesenkratzer begann kurz hinter dem linken
     Frontscheinwerfer, lief unterhalb des Fensters quer durch die Seitentür und
     endete kurz vor den Rückleuchten. Er sah aus wie eine tiefe Fleischwunde.
     Ottakring fühlte sich, als wäre Herr Huber vor einen Lkw gelaufen. Als hätte
     Lola sich einen Finger abgeschnitten.
    Sollte der Junge …?
    In dieser Minute konnte er unmöglich absehen, welche Dimensionen die
     ekelhafte Schleifspur im orangefarbenen Lack des Porsche annehmen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher