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1294 - Der kopflose Engel

1294 - Der kopflose Engel

Titel: 1294 - Der kopflose Engel
Autoren: Jason Dark
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Der Küster stand im Licht der Lampe, deren Schein auch Mabel erreichte.
    »Was ist mit Ihnen, Mabel? So habe ich sie noch nie erlebt. Was ist Ihr Problem?«
    Die Wahrheit konnte sie nicht sagen. Die hätte man ihr nicht abgenommen. Sie wäre ausgelacht worden. Niemand würde ihre Angst verstehen, sie selbst begriff sie auch nicht. Nur hatte der Küster ein Recht darauf, eine Antwort zu bekommen, und zum Glück fiel ihr eine Ausrede ein.
    »Ich bin erkältet«, brachte sie mühsam über die Lippen. »Sie müssen schon entschuldigen…« Um ihren Zustand zu verdeutlichen, begann sie zu husten.
    Der hagere Mann mit dem kurz geschnittenen Haar nickte. »Ja, so etwas kenne ich. Von meiner Großmutter habe ich das perfekte Hausmittel noch im Schrank. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen gern einige Tropfen davon. Sie helfen wirklich.«
    »Das glaube ich Ihnen gern. Aber ich möchte…«, sie hustete wieder und beugte sich dabei vor, »… in die Kirche.«
    »Klar. Unserem Herrgott macht die Erkältung eines Menschen wirklich nichts aus.«
    »Ja, so ist es.«
    Der Küster war zufrieden. Er tastete in der Hosentasche nach dem Schlüssel, dann zog er die Haustür zu und ging als Erster den schmalen Weg entlang, der wie eine blasse Schnur in das Grau der Dämmerung hineinführte.
    Mabel fröstelte. Sie ging geduckt. Das Kopftuch hatte sie am Hals zusammengeknotet und fest um ihr Haar geschlungen. Typisches Novemberwetter begleitete sie. Es war feucht und kühl, und man konnte das Gefühl haben, dass es nieselte, doch es waren nur feuchte Nebelschwaden, die gegen sie trieben.
    Mabel Denning hatte sich etwas verspätet. Sie war ein Mensch, der gern am Tag in die Kirche ging.
    Während der Dunkelheit und auch schon zu Beginn der Dämmerung war ihr das kleine Gotteshaus immer etwas unheimlich. Da hatte sie jedes Mal das Gefühl, lebende Schatten zu sehen. Unheimliche Gestalten, die um sie herumkreisten. Dämonen und Geister aus der Welt der Finsternis, die nicht mehr nur als Figuren an der Kirchenmauer existent waren, sondern den Weg ins Innere der Kirche gefunden hatten. Es war natürlich Unsinn. So etwas gab es nicht. Schließlich war die Kirche ein Bollwerk gegen den Teufel und seine Helfer, aber die Gedanken kamen ihr doch immer wieder.
    Sie verschwanden erst, wenn sie ihr eigentliches Ziel in der Kirche erreicht hatte.
    Es gab hier keinen prächtigen Eingang, sondern mehr eine Pforte, die der Küster erst aufschließen musste. Er fasste wieder in die Tasche und holte den Schlüssel hervor. Dabei schüttelte er den Kopf und gab einen Kommentar ab.
    »Früher ist das alles nicht nötig gewesen. Aber heute muss man sogar die Kirchen abschließen, nachdem sie immer wieder von Einbrechern besucht werden. Hier ist das auch passiert, verdammt.«
    »Die Zeiten ändern sich auch wieder.«
    »Glauben Sie das?«, fragte der Küster und zog die Kirchentür auf. »Ich bin da skeptisch.«
    Mabel Denning zuckte mit den Schultern und ging an dem Küster vorbei. Sie bekam noch den Schlüssel in die Hand gedrückt, denn der Küster wusste, dass sie ihn wieder zurückbringen würde.
    Auch jetzt fragte er nicht nach, was die Frau so oft in die Kirche trieb. Irgendwann würde sie es ihm sagen. Dann blieb noch genug Zeit, um darüber zu reden.
    Sie ging mit kleinen und zögernden Schritten, obwohl sie es kaum erwarten konnte, ans Ziel zu gelangen. Wie immer empfand sie einen besonderen Schauer. Ihr Kopf füllte sich mit düsterer Orgelmusik, obwohl keine Orgel spielte. Durch die schmalen und nicht sehr hohen Fenster krochen die Schatten, breiteten sich aus, erreichten den Altar und legten sich über ihn wie ein düsteres Leichentuch, als wollten sie beweisen, dass sie die Herren in diesem Gotteshaus waren.
    Mabel blieb stehen.
    Das Gefühl der Angst war zwar nicht gewichen, es hatte sich nur verändert. Jetzt stieg eine düstere Ahnung in ihr hoch. Sie glaubte daran, dass etwas vor ihr lag, das sie in Schrecken versetzen würde.
    Sie merkte, dass es kalt ihren Rücken hinablief. Sie schüttelte einige Male den Kopf, denn sie suchte die Bänke ab, ob sich darauf jemand aufhielt.
    Keiner war da. Es gab nur sie. Mabel schaute sich wieder um. Sie glich einer Fremden, die zum ersten Mal die Kirche betreten hatte.
    Als ihr Blick über die kahlen Wände streifte, konnte sie die Stellen einfach nicht übersehen, an denen sich die Schatten hielten, die völlig normal waren, ihr allerdings vorkamen wie dämonische Gestalten aus einer anderen Welt.
    Ihr Herz
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