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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot
Autoren: Emily Arsenault
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damals wochenlang nach ihr, doch es gab keinerlei Hinweise auf ihren Verbleib.
    »Zusammen mit Detective Tracy Vaughan von der ›Abteilung für ungeklärte Fälle‹ der Bundespolizei gehen wir noch einmal sämtliche Einzelheiten durch, für den Fall, dass wir seinerzeit etwas übersehen haben. Wir werden wohl auch Miss Banks‹ Freunde und Bekannte erneut befragen, und wir bitten darum, dass sich jeder meldet, der etwas über den Fall wissen könnte«, sagte Chief Fisher.
    Dann stimmte es also. Sie hatten Rose gefunden. Nach all den Jahren. Als ich den Artikel zum zweiten Mal las, hatte ich das deutliche Gefühl, dass meine Töpferscheibe wohl mindestens noch eine Woche ruhen würde. Ich musste Charlotte sehen, und sicher wollte sie mich auch dringend sehen.
Übersinnliche Kräfte
August 1990
    Das mit den Zenerkarten war Charlottes Idee gewesen. Wie alle Projekte in jenem Sommer entsprang auch dieses einem Time-Life-Buch. Wir sprachen sie » ZIE -nerkarten« aus. Rose hatte uns zwei volle Nachmittage mit der Fertigung der Karten beschäftigt – einen mit dem Marsch die anderthalb Meilen in die Stadt, wo wir uns einen Stapel Blankokarten kauften; den zweiten mit dem sorgfältigen Malen von dicken schwarzen Kreisen, Quadraten, Kreuzen, Sternen und (das Lustigste, aber auch Schwierigste) drei psychedelischen Wellenlinien. Rose verwarf unsere ersten Versuche und beteuerte, dass die Wellen genau parallel sein müssten, weil sie sonst unseren Geist verwirren und die Ergebnisse verfälschen würden.
    Am dritten Tag des Projekts mischte Rose endlich die Karten und legte sie für uns. Für diese Aufgabe war sie ausgewählt worden, da sie nun mal die Erwachsene von uns war. Charlotte und ich sollten abwechselnd die Symbole der umgedrehten Karten erraten und unsere Treffer notieren. Beim ersten Versuch hatte ich zehn von fünfundzwanzig, Charlotte vier. Während der zweiten Runde bemerkte ich, dass sich das Gesicht von Rose veränderte, bevor ich riet. Ihr Mund öffnete sich zu einem O, wenn ein Kreis kam, und vor den Wellenlinien nickte sie ein bisschen. Sobald sie sicher war, dass ich es kapiert hatte, wurden die Gesten schwächer: eine leichte Mundbewegung bei einem Kreis, ein Zucken mit dem Kinn bei den Wellen. Bei den Sternen, Vierecken und Kreuzen half sie mir nicht, sondern blickte nur übertrieben gelangweilt in Richtung Zimmerdecke.
    »Wow.« Rose sah mit hochgezogenen Brauen zu Charlotte, als ich in der zweiten und dritten Runde eindrucksvolle dreizehn beziehungsweise elf Treffer hatte.
    Abgesehen von Rose’ mimischen Zeichen erkannte ich noch ein weiteres Muster. Meistens legte sie die Wellenlinien an die Ränder und die Kreise irgendwo in die Mitte der Fünferreihen. Ihre Tipps waren teils nur schwer zu erkennen, und manchmal beobachtete Charlotte uns zu aufmerksam. Trotzdem schnitt ich am Ende deutlich besser ab als Charlotte. Meine eindeutige Überlegenheit als Hellseherin machte Charlotte stutzig. Doch anstatt uns noch genauer zu beobachten, konzentrierte sie sich umso mehr aufs Raten, runzelte die Stirn und war außergewöhnlich still; sie setzte alles daran, Punkte aufzuholen. Anscheinend war sie davon überzeugt gewesen, dass sie sich als die Hellseherin von uns beiden entpuppen würde. Das wussten wir, auch ohne dass sie es aussprach, denn egal, worum es ging, die Rolle der Siegerin oder der Besonderen fiel unweigerlich – und zumeist mühelos – Charlotte zu.
    Doch weder sprachen Rose und ich unser Schummeln ab, noch verfeinerten wir die Methode – nicht einmal, als wir es konnten, weil Charlotte gerade im Bad war oder mehr Kekse aus der Speisekammer holte. So richtig habe ich nie begriffen, warum wir das überhaupt taten. Wir wollten uns ja nicht über Charlotte lustig machen oder sie austricksen. Ich würde noch nicht einmal behaupten, dass Rose mich lieber mochte als Charlotte. Dafür interessierte sie sich viel zu wenig für uns.
    »Dein Psi erkennt die Kreise und Wellen öfter als die anderen Zeichen«, bemerkte Charlotte nach etwa drei Nachmittagen Kartenraten.
    Ich biss mir auf die Lippe und sah Rose an.
    »Bestimmt denkt sie mehr mit der rechten Gehirnhälfte«, sagte Rose hastig.
    »Und was heißt das?«, fragte Charlotte.
    »Das hatten wir in der Schule«, erklärte Rose. »Die linke Gehirnhälfte ist zuständig für Dinge, die mit Wissenschaft oder Mathe zu tun haben; die rechte eher für alles mit Gefühl, also Kunst, Gedichte und so. Ich benutze meine rechte Hälfte mehr, glaube ich,
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