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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot
Autoren: Emily Arsenault
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meine Schwester ihre linke. Nora denkt sicher auch mehr mit der rechten.«
    »Und ich?«, wollte Charlotte wissen.
    »Weiß ich nicht genau. Was magst du lieber, Mathe oder Sprachen?«
    »Ich mag beides.«
    »Tja, dann ist bei dir keine Hälfte stark.«
    »Oder sie sind beide gut«, widersprach Charlotte.
    Rose schob gelangweilt die Karten zusammen. »Noch eine Runde?«, fragte sie, während sie zu mischen begann.
    »Diesmal mit Pepsi«, schlug Charlotte vor und erklärte uns, was sie gerade in den schwarzen Büchern entdeckt hatte: Experimente von einem J. B. Rhine in den Dreißigerjahren hatten gezeigt, dass Leute mit hellseherischen Kräften noch besser wurden, nachdem sie koffeinhaltige Limonade getrunken hatten. Nach dieser Erklärung ließ Rose uns die beachtlichen Pepsi-Vorräte von Charlottes Dad plündern.
    »Wenn jemand fragen sollte, habe ich das meiste getrunken und ihr beide nur jede ein Glas«, rief Rose uns aus dem Wohnzimmer zu, als Charlotte und ich in der Küche standen und Cola schlürften.
    Mir kam es vor, als wollte sie mit der Bemerkung andeuten, dass sie auch gern Pepsi hätte. Während Charlotte mir nachschenkte, ging ich vorsichtig ins Wohnzimmer, um sie zu fragen, ob sie auch etwas wolle. Von der Tür aus sah ich jedoch, dass sie sich ein paar Zigaretten aus dem Kästchen auf dem Couchtisch stibitzte, in dem Charlottes Mom ihre Zigaretten aufbewahrte, und schlich eilig wieder in die Küche zurück.
    Die Pepsi-Wirkung war nicht nachweisbar. Charlotte hatte ein paar Treffer mehr, blieb aber hinter mir zurück. Meine Trefferzahl war dieselbe wie vorher.
    »Noras Treffer sehen nach einer ziemlich reinen Hellsehergabe aus«, befand Rose. »Sie kann eindeutig hellsehen.«
    Charlotte nuckelte an einer ihrer rötlichen Locken. Für einen winzigen Moment wirkte sie beleidigt, doch dann schaute sie zu mir, nahm ihre Haare aus dem Mund und lächelte mich bewundernd an.
    »Ja«, sagte sie und strich sich die Locke hinters Ohr. »Sieht so aus.«

Zwei

    21. Mai 2006
    Am Sonntag fuhr ich hinauf nach Waverly. Charlotte hatte gemeint, es sei ideal, an diesem Abend dort anzukommen, weil sie zu Hause war, ihre Mutter aber nicht. Die fuhr am selben Tag für eine Woche zu ihrer Schwester nach New Jersey.
    Neil hatte ich erzählt, dass Charlotte mich angerufen hätte, weil jemand, den wir beide kannten – jemand, der älter war als wir –, gestorben sei. Das sei auch der Grund, warum wir uns sehen wollten. Neil wusste, dass Charlotte existierte; er erinnerte sich, dass ihr Name in meinen Kindheitsgeschichten vorgekommen war, außerdem hatte er die Weihnachtskarten mit unterschrieben, die ich ihr schickte. Abgesehen davon war sie auf unserer Hochzeit gewesen.
    »Ich dachte nicht, dass ihr euch noch nahesteht«, hatte er gesagt.
    Womit er recht hatte; wir standen uns nicht nahe. Das taten wir schon in der Highschool nicht mehr. Während ich den Großteil der Zeit in stiller Betrübnis verbrachte, war Charlotte durch ihre diversen Klubs und Sportarten relativ bekannt und beliebt gewesen. Aber sie hatte dafür gesorgt, dass wir nie ganz den Kontakt verloren. Um den Schulabschluss herum hatten wir die Verbindung wiederhergestellt und uns einige Male zum Kaffeetrinken verabredet. In der Collegezeit dann schrieb Charlotte mir wunderschöne Briefe in ihrer kleinengeschwungenen Schrift, immer mit Füller. Doch ich war mir nicht sicher, ob ich zurückschreiben sollte, denn mir wollte es nicht gelingen, mein Studium ebenso spannend oder das Papier ebenso elegant aussehen zu lassen. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen, weil ich nur selten antwortete, war aber gleichzeitig auch erleichtert darüber, dass sich meine letzte Verbindung zu Waverly in Wohlgefallen auflöste. Bald danach reduzierte sich unser Austausch auf ein paar sporadische E-Mails und seltene Verabredungen zum Kaffee in Hartford, wenn ich meine Mom in Connecticut besuchte.
    Neil war erstaunt gewesen, als ich verkündete, dass ich für ein paar Tage nach Waverly fahren wolle. Meine Mutter war ein Jahr nach meinem Abschluss aus der Stadt weggezogen, und Neil wusste, dass mich nicht viel mit dem Ort meiner Kindheit verband. Ich behauptete, dass ich hauptsächlich ein bisschen rauskommen wolle. Bis ich den Kurs in Glasurchemie geben solle, sei es doch noch einen Monat hin. Zwar hätte ich vorgehabt, jede Menge Sachen für die Sommer- und Herbstmärkte zu töpfern, aber ich hätte doch schon letztes Jahr zu viel gehabt und gar nicht alles verkaufen können,
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