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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot
Autoren: Emily Arsenault
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nahmen sie beim Wort.
Wahrsagungen und Prophezeiungen
November 1990
    Nach Rose’ Verschwinden suchten sich Charlottes Eltern keinen Babysitter-Ersatz. Entweder hofften sie, dass Rose eines Tages wiederkommen würde, oder sie hatten endlich kapiert, dass Charlotte alt genug war, um nachmittags ein paar Stunden allein zu sein, bis Paul von seinem Fußballtraining zurück war.
    »Ich mache mir immer noch Sorgen wegen Rose«, gestand Charlotte, eine Woche nachdem wir erfahren hatten, dass sie verschwunden war. Wir saßen im Schneidersitz auf Charlottes Bett und spielten halbherzig eine Runde »Racko«.
    »Das tun alle«, entgegnete ich.
    »Heute Morgen war wieder ihr Bild in der Zeitung.«
    »Ich weiß.« Ich war ein bisschen genervt, weil Charlotte manchmal so tat, als würde ich hinterm Mond leben.
    »Ich finde, wir dürfen hier nicht rumsitzen und spielen. Wir müssen bei der Suche nach ihr helfen.«
    Natürlich ging Charlotte zu ihrem Schrank, in dem sie die schwarzen Bücher aufbewahrte. Stöhnend räumte ich die »Racko«-Karten zusammen, denn ich war nicht in der Stimmung für die Bücher. Eigentlich war ich mir nicht mal sicher, ob mir die Sachen darin ohne Rose’ spöttische Kommentare nicht zu unheimlich waren.
    Aber das Bild, das Charlotte mir hinhielt, war schön, ganz anders als die, die sie mir sonst gezeigt hatte. Auf dem Bild war eine Afrikanerin zu sehen, die im Sand saß und einen langen Schatten hinter sich warf. Vor ihr waren zwei Reihen in den dunkelorangefarbenen Sand geklopft, jede ungefähr einen Meter lang. Über jeder der Reihen waren Kästchenaufgemalt, deren Ränder mithilfe von kleinen Sandhügeln geformt worden waren, und in einigen der Kästchen befanden sich Symbole: kleine runde Hügel, mehrere Vertiefungen auf einem Klecks, Zeichnungen von Hufeisen und Kreuzen. Andere Kästchen waren leer. An manchen Stellen in dem Gittermuster steckten Stöckchen. Es sah ein bisschen wie ein »Himmel und Hölle«-Feld aus, nur viel raffinierter, schöner und bedeutsamer.
    »Damit kann man Sachen vorhersagen. Die Dogon, das ist ein afrikanischer Stamm, machen das«, erklärte Charlotte und sprach das Wort »Doggone« aus. »Sie lassen das über Nacht so und warten, bis ein Wüstenfuchs kommt und darüberläuft. Dann lesen sie seine Fußspuren, also, in welchen Kästchen er war.«
    »Und wenn ein anderes Tier darüberläuft?«, fragte ich, obwohl mich das eigentlich gar nicht interessierte. Aber Rose hätte es bestimmt gefragt.
    »Weiß ich nicht«, gestand Charlotte. »Der Wüstenfuchs jedenfalls ist irgendwie magisch.«
    Ich nickte und guckte wieder das Foto an. Schade, dass kein Bild von einem Wüstenfuchs dabei war.
    »Ich hab gedacht, dass wir so was für Rose machen könnten«, sagte Charlotte. »Mit dem Raster können wir rauskriegen, wo Rose ist.«
    »Ja, gute Idee«, pflichtete ich ihr bei.
    »Machen wir das in unserem Garten? Was meinst du? Wir nehmen dafür die Stelle unter dem Baum, wo kein Gras wächst.«
    »Klar, meinetwegen.«
    »Oder lieber bei euch im Garten?«, schlug Charlotte vor. »Ihr habt viel mehr Stellen, an denen kein Gras ist.«
    »Nee, dann meckert Mrs. Crowe, und wenn sie meckert, schimpft hinterher meine Mutter mit mir. Mrs. Crowe stellt sich mit ihrem Garten immer so an. Sie hat mal erzählt, dass sie manchmal davon träumt, wie Hunde in ihren Garten gelaufen kommen, und dann guckt sie morgens gleich als Erstes nach, ob da Haufen sind.«
    »Du bist echt verrückt, Nora.«
    »Nicht ich, sie sagt das!« Charlotte verstand einfach nicht, wie es war, in einem Zweifamilienhaus zu wohnen. Sie hatte keine Ahnung von meckernden alten Vermieterinnen. »Ich hab mir das doch nicht ausgedacht!«
    »Na gut, dann eben in unserem Garten.«
    »Hier steht nicht, was diese Zeichen bedeuten.«
    »Wir denken uns selbst welche aus«, bestimmte Charlotte. »Welche, die was mit Rose zu tun haben.«
    »Hier gibt es aber auch keine Wüstenfüchse. Sollen wir warten, bis ein Hund vorbeikommt?«
    »Schon komisch, dass unsere Straße Fox Hill heißt, obwohl es hier gar keine Füchse gibt.«
    »Wahrscheinlich gab es hier früher welche«, vermutete ich. »Und die haben sie alle abgeknallt.«
    »Wer?«, fragte Charlotte und nahm mir das Buch weg.
    »Weiß nicht, die Pilger vielleicht. Oder die ersten Siedler.«
    »Ach so, ja, kann sein. Jedenfalls habe ich gedacht, wir können versuchen, Rose’ Kater herzuholen, damit er über das Muster läuft. Das bringt doch sicher mehr, als wenn wir Brownie oder
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