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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache
Autoren: Kirsten Riedt
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Genick, ich hab’s gesehen.«
    »Erwürgt ist er worden, sagt meine Frau.«
    »Hat man ihn nicht aufgeschlitzt?«
    »Nein, erstochen.«
    Jeder von den Leuten, die am Stand der alten Quindt drängten, wusste etwas anderes zu berichten. Eben noch war der jungen Margit Vrede der Einkauf lästig gewesen, jetzt hätte sie nirgends lieber stehen mögen als mittendrin. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, das Stirntuch flatterte vor ihren Augen. So fein der Brüsseler Schleier auch war, jetzt war er zu dicht.
    »Seht Ihr etwas?«, fragte Eisel.
    »Die ganze Straße ist voller Menschen.« Ihre Magd war kleiner als sie und sprang immer wieder neben ihr hoch. Gleich würde das Salzsäckchen im Korb umkippen. Die alte Quindt band es nie fest genug zu. »Bleibe gefälligst stehen, denk an das Salz. Oder willst du mir das Geld ersetzen?«
    »Nein, Herrin.«
    Gleich würde Eisel wieder beleidigt sein, das würde ihr nur den Tag verderben. Eisel war gerade erst fünfzehn, aber mit den Frauendingen kannte sie sich längst besser aus als Margit. Alle Welt wusste, wie es in den Dienstkammern und Scheunen zuging. »Ich kann doch nichts dafür, dass die Leute hier größer sind als du.« Margit hängte sich unter dem braunen Hemdsärmel Eisels ein. »Der Stadtbüttel treibt die Bettler die Große Straße herunter.«
    »Für heute habe ich genug stinkende Leute erlebt.«
    »Beschwere dich nicht.« Sie gingen immer nur ganz kurz ins Armenhaus der Fronleichnamsbruderschaft. »Vater will, dass wir viel Almosen geben.«
    Ein Mann am Salzstand drehte sich plötzlich um und fuchtelte mit einem gichtigen Finger vor ihrem Gesicht herum. »Ihr habt ja auch das meiste in der Stadt zu verteilen.«
    Dem Mann fehlten die oberen Zähne, den schwarzen Lederstiefeln nach mochte es ein Gerber sein. Margit hatte ihn schon einmal im Geschäft mit Vater an der Truhe mit den Edelsteinen stehen sehen. Auch war sein Mantel sehr sauber. Sie wies mit ausgestrecktem Arm auf die Nikolaikirche, deren Dach über den Marktbuden hochragte. »Was wollt Ihr von mir? Die Vredes haben der Kirche dort die neuen Stufen am Portal gestiftet.« Vater hatte ihr eingeschärft, jedem mit den gottgefälligen Taten zu antworten, der ihr den Reichtum vorwarf.
    Der Zahnlose blickte aber nur auf ihren Ring am linken Mittelfinger. »Die Heilige Jungfrau trug keine Perlen an der Hand.«
    »Und der Josef keine Kette.« Eisels Kopf lag schräg, ihr Zeigefinger auf ihrer Nase, mit dem sie eben noch die Halskette des Gerbers angepeilt hatte.
    Der Mann zog den Mund zu einem umgekehrten Hufeisen ein. Dann drückte er die Dicke vor ihnen zur Seite und verschwand in der Menge. Margit kicherte.
    »Macht die Straße frei für den Rat«, rief eine Männerstimme über die Köpfe hinweg.
    »Seht Ihr was?« Eisel drückte ihr den Korb an die Knie.
    Margit stellte sich wieder auf die Zehenspitzen. »Der Stadtbüttel rennt vorbei.«
    Sie schlüpften unter dem Baldachin am Verkaufsstand der Quindt hinaus. Vom Salzmarkt her schoben sich immer mehr Leute aneinander, reckten die Hälse.
    »Guck mal, die junge Vrede. Die wohnt im geschmücktesten Haus der Bierstraße. So Schnitzereien möchte ich auch haben«, sagte eine Bürgersfrau.
    Margit tat so, als ob sie nichts hörte. Eisel hatte den Kopf dorthin gedreht, Margit zog nur das Schultertuch zurecht. Die Weiber hinter ihnen tuschelten weiter. Margit kannte das, halblaut sprachen die Leute gern, gerade so laut, dass sie es hören musste, aber sich nicht einmischen konnte.
    »Sie soll mit ihrem Vater aus gläsernen Bechern trinken und silberne Teller haben.« Die andere Frau ereiferte sich noch lauter.
    Ja, sie tranken aus Gläsern. Aus Venedig stammten die, hatte der Vater erzählt. Aus dem Land, in dem der Papst lebte, wo immer die Sonne schien, auch im Winter. Selbst wenn sie sich zu ihnen umdrehte, würden die Weiber an ihr vorbeischauen.
    Sie spürte Eisels Hand, die sie zwischen zwei Männern weiter nach vorn zog. Manchmal war es ein Vorteil, klein zu sein. »Herrin, der ganze Rat läuft hin.«
    So würde sie Reimer Knuf gleich wiedersehen. Wenn der ganze Rat erschien, war er als Ratsherr gewiss dabei. Margit legte die flache Hand auf den Mund und schlug die Augen nieder. Ihm zulächeln vor all den Leuten, das war zu gefährlich. Würde er sie überhaupt bemerken, zwischen all den Leuten? Er würde sie überall suchen, Margit war sich sicher, das hatte der Glanz seiner Augen ihr längst verraten.
    »Erschlagen haben sie den Leggemeister wie einen
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