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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache
Autoren: Kirsten Riedt
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räudigen Hund«, sagte die Dicke vor ihr.
    »Das kann nicht sein, der Reker hätte sich gewehrt. Der war flink und stark.« Die Nachbarin schüttelte die einfach geschlungene Haube.
    Eisel blickte Margit von unten an, nagte an ihrer Oberlippe, flüsterte ihr zu: »Das war doch der Mann mit dem schönen Gesicht wie der König bei den Gauklern.«
    »Jetzt übertreibe nicht.«
    »Dir hat er aber auch gefallen.«
    Der Mann vor ihnen schüttelte heftig den Kopf. »Wie sollte der Prüfmeister sich wehren? Der Hänfling Reker, wo sollte der Kraft schöpfen? Aus dem dünnen Leib vielleicht?«
    »Aber ja. Hast du nie den Leggemeister bei der Arbeit erlebt, Schneider?«, sagte der Kaufherr vor ihnen. »Ich habe genug Leinen zur Prüfung zu ihm getragen. Reker war zwar dünn, aber stark. Der hat mit einer Hand einen ganzen Ballen Leinwand über den Tisch geworfen und ihn zur Prüfung glatt gezogen. Und schnell war er wie ein Wiesel.«
    Margit sah die Ratsherren vom Nikolaiort aus in die Straße biegen. Er würde hinten mit den Handwerkern laufen. Sie trat zur Seite, die Männer vor ihr steckten die Köpfe zusammen.
    »Die lange Bahn Leinwand soll rot wie ein Richttuch sein.«
    »Solches wird der Rat bald aushängen müssen«, sagte die Dicke.
    »Wer Rekers Blut an den Händen hat, wäscht sich die Finger längst anderswo.« Der Kaufherr klang dessen gewiss.
    Margit sah ihn kommen. Er lief rechts neben dem gelbhaarigen Husbeek, der ihr den Ring gemacht hatte. Vater hatte ihre Hand geführt, als der Goldschmied Maß genommen hatte. Husbeek war lustig, hatte die Goldmünzen für den Ring zu einem Türmchen vor der Waage aufgeschichtet und ihr eine silberne Kugel gereicht. Mit dem Finger hatte sie das Türmchen weggekegelt. Selbst Vater hatte darüber gelacht. Margit mochte Husbeeks wache blaue Augen und die freie Stirn. Aber er war nichts gegen Reimer. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht zu lächeln, als die Reihe der Ratsherren vorbeizog. Ihre Finger spielten mit dem Perlenring. Reimer schien größer, hielt sich sehr gerade, als trüge er einen Ritterpanzer, die linke Hand ins Wams gesteckt, das bis zu den Knien reichte, und doch so federnd, als würde er gleich zum Tanz sich drehen. Margit senkte das Kinn. Und wie er mit ihr tanzen konnte.
    »Der Rat wird nicht ruhen. Die Legge gehört der Stadt. Das Blut des Leggemeisters muss gesühnt werden.«
    Der helle und der dunkle Schopf, Husbeek und Reimer … drei Schritt vor ihr, nur noch die Männer wegschieben … dann hätte sie ihn berühren können. Er drehte den Kopf herüber zum Salzstand der alten Quindt. Sein Blick verfing sich in ihrem. Die braunen Augen verloren den ganzen Stolz des Ratsherrn, ein Wimpernschlag, schon schauten sie weich. Die Farbe von Honigkuchen. Er hatte sie gesehen. Margit umschloss die Perle ihres Ringes mit den Lippen und presste die Faust gegen den Mund, der lachen wollte.
    Eisel bog sich weit ins Kreuz zurück. Von der Seite kniff ihre Magd die Augen zusammen und machte einen Schmollmund. Niemand außer Eisel sollte sie lachen sehen. Honigkuchen, was hätte Reimer ihr wohl dafür gegeben? Er war ein richtiger Mann. Seine Arme hatten sie frei in der Luft über der Tanzdiele gehalten. Er hatte sie herumgewirbelt, wie sie zuletzt als Kind von der Amme gedreht worden war. Damals war sie von der Kinderfrau auf der Sommerwiese gebettet worden. Nach dem Tanz hatte sie anderes blühen sehen.
    Die Männer vor ihr liefen mit der Menge los. Eisel war schon halb zwischen den Leuten verschwunden, Margit sprang hinterher und erreichte mit der Hand gerade noch den Korbrand. »Wo willst du hin?«
    »Na, gucken, wie der tote Reker daliegt.«
    »Nein, wir gehen zurück in den Laden.«
    Eisel drehte sich langsam um, den Korb schlenkerte sie an der Hand. »Wenn Ihr meint, Herrin.«
    »Du vergisst schon wieder das Salz.« Eisel nahm den Korb vor die Brust auf ihren Fingerzeig hin. »Vater ist genauso neugierig wie du. Er wird uns schon alles erzählen.« Margit legte ihr die Hand auf die Schulter. »Die lassen uns Jungfrauen sowieso nicht vor.« Margit lenkte die Schritte zur Domfreiheit, so waren sie schneller zu Hause. Den toten Reker zu sehen, wollte sie sich ersparen. Sie behielt ihn lieber so in Erinnerung, wie sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. An Vaters Tisch, mit den hochgezogenen spitzen Augenbrauen, hatten sie sich über den Gläsern aus Venedig zugeprostet. Jetzt erschien es ihr wie ein Zeichen des Schicksals. Der Wein darin hatte im Kerzenschein
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