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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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Simone wäre nicht ausreichend versorgt; wenn überhaupt, hätte er ihren Lebensstandard eher gesenkt. Ihr Vater war zwar nur Kohlenhändler, dennoch hatte sich ihre Familie über die Jahre die eine oder andere Annehmlichkeit anschaffen können, ein Auto zum Beispiel oder anständige Möbel. Im Juni oder Juli machten ihre Eltern Urlaub im Süden, wo sie ein Landhäuschen mieteten, und im letzten Jahr hatten sie einen Monat Miete übernommen, damit Jonathan und Simone mit Georges dort hinfahren konnten. Jonathan war nicht so erfolgreich wie sein Bruder Philip, der zwei Jahre älter war als er, aber körperlich schwächer wirkte und zeit [32]  seines Lebens ein langweiliger Streber gewesen war. Inzwischen hatte er es zum Professor für Anthropologie an der Universität Bristol gebracht – sicher kein brillanter Wissenschaftler, doch ein ordentlicher, grundsolider Mann mit einem ordentlichen Beruf, einer Frau und zwei Kindern. Jonathans inzwischen verwitwete Mutter lebte glücklich mit Bruder und Schwägerin in Oxfordshire, kümmerte sich um den großen Garten, erledigte die Einkäufe und kochte für die beiden. Jonathan hielt sich für den Versager der Familie, gesundheitlich wie auch beruflich. Mit achtzehn hatte er Schauspieler werden wollen und zwei Jahre lang die Schauspielschule besucht. Damals fand er, sein Gesicht eigne sich gut für die Bühne: Mit der großen Nase und dem breiten Mund war es nicht zu schön, aber anziehend genug für die romantischen Helden und dennoch so markant, daß er später auch Charakterrollen spielen könnte. Alles nur Träume. Gerade mal zwei winzige Nebenrollen hatte er in den drei Jahren bekommen, in denen er sich an den Theatern Londons und Manchesters herumtrieb, und dabei hatte er sich natürlich die ganze Zeit mit irgendwelchen Jobs über Wasser halten müssen, einmal sogar als Tierarztgehilfe. »Sie brauchen viel Freiraum, doch Sie sind sich Ihrer selbst nicht sicher«, hatte ein Regisseur einmal zu ihm gesagt. Und dann, bei einer dieser Gelegenheitsarbeiten für einen Antiquitätenhändler, stellte Jonathan fest, daß ihm dieses Geschäft gefallen könnte. Er lernte von Andrew Mott, seinem Chef, was er nur konnte; dann folgte der große Umzug nach Frankreich mit Roy Johnson, seinem Kompagnon, der wie er für den Aufbau eines Antiquitätengeschäfts aus dem Altmöbelhandel viel Begeisterung, [33]  aber wenig Erfahrung mitbrachte. Jonathan wußte noch, wie er von Ruhm und Abenteuer in einem neuen Land geträumt hatte, von Freiheit und Erfolg in Frankreich. Und wie er sich statt des Erfolgs, statt erfahrener, lehrwilliger Mätressen, statt Freundschaften mit den Bohemiens oder den Angehörigen einer französischen Gesellschaftsschicht, die vielleicht nur in seiner Vorstellung existierte, weiterhin gerade so durchschlagen mußte, ohne daß es ihm eigentlich besserging als damals, als er sich als Schauspieler versucht und jeden Job angenommen hatte.
    Der einzige Erfolg seines Lebens, dachte Jonathan, war die Ehe mit Simone. Er hatte von seiner Krankheit im selben Monat erfahren, als er Simone Foussadier kennenlernte. Damals begannen auch diese seltsamen Schwächeanfälle, die er in einer romantischen Anwandlung seiner Verliebtheit zuschrieb. Doch war es durch mehr Ruhe nicht besser geworden; einmal war er in Nemours auf der Straße ohnmächtig geworden. Also war er zu einem Arzt gegangen, zu Dr.   Perrier in Fontainebleau. Der hatte eine Veränderung im Blutbild vermutet und ihn an einen Dr.   Moussu in Paris überwiesen, einen Facharzt, der nach zweitägigen Untersuchungen bei Jonathan myeloische Leukämie festgestellt und erklärt hatte, ihm blieben noch sechs bis acht, mit Glück zwölf Jahre. Die damit einhergehende Vergrößerung der Milz war bei Jonathan bereits eingetreten, ohne daß er es bemerkt hätte. Insofern war der ungeschickt formulierte Heiratsantrag, den er Simone machte, zugleich eine Liebes- wie eine Todeserklärung. Den meisten jungen Frauen hätte das gereicht, um abzulehnen oder sich zumindest Bedenkzeit auszubitten. Simone aber hatte [34]  ja gesagt, sie liebe ihn auch. »Die Liebe zählt, nicht die Zeit«, hatte sie gesagt: nichts von der Berechnung, die Jonathan den Franzosen und Südländern generell zugeschrieben hatte. Simone meinte, mit ihrer Familie habe sie schon gesprochen. Und das zwei Wochen, nachdem sie sich kennengelernt hatten. Auf einmal fühlte Jonathan sich in eine Welt versetzt, die sicherer war als jede bisher gekannte. Wie durch ein
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