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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio
Autoren: Sascha Lange
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Zum Anfang - Erinnerungen
    Ich sammle Erinnerungen. Natürlich in erster Linie meine eigenen, und ich denke, daß ich schon eine ganze Menge zusammengetragen habe. Vor einigen Jahren hat man begonnen, sich an das Leben in der DDR zu erinnern. Zum Beispiel in lächerlichen TV-Ostalgie-Shows mit den Vorzeige-Ossis Axel Schulz und Katharina Witt im FDJ-Hemd. Nun glauben wirklich alle, daß Ossis Trottel sind. Schönen Dank auch! Yvonne Catterfeld beklagte vor einiger Zeit in der BILD-Zeitung, wie schlimm ihre DDR-Schulzeit gewesen sei. Ich trockne mir noch heute die Tränen.
    Auf dem Gipfel der Ostalgie-Welle plazierte das Internetkaufhaus Ebay sogar Werbebanner für DDR-Nostalgieauktionen. Man wollte so die Leute animieren, Erinnerungen zu kaufen, meist gar nicht ihre eigenen. Meine Erinnerungen an die DDR muß ich mir nicht für Westgeld ersteigern. Die habe ich in meinem Kopf. Und in einem Pappkarton mit Schwarzweißfotos.
    Ich wurde im Dezember 1971 in Leipzig geboren, und meine Eltern gaben mir den Namen Alexander. Als selbsternannte Ost-68er haben sie mich nach Alexander Dubček benannt, dem tschechischen Staatschef, den die Post-Stalinisten 1968 nach dem Prager Frühling abgesetzt hatten. Auf diesen Frühling folgte ein tiefer sibirischer Winter.
    Alexander nennt mich aber niemand. Auch meine Eltern sagen immer nur »Sascha« zu mir, das ist eineKoseform von Alexander. So heiße ich also eigentlich Alexander, aber andererseits wiederum nicht. Genauso wurde ich zwar in der DDR geboren, habe aber in Leipzig eigentlich gar nicht in der DDR gelebt. Ich fühlte mich in Kindertagen weniger als DDR-Bürger, sondern vielmehr als Bundesbürger mit DDR-Staatsbürgerschaft. Ich kam in einem katholischen Krankenhaus zur Welt, ging mit drei Jahren in einen evangelischen Kindergarten und schaute zu Hause im Westfernsehen die Sesamstraße und die Sendung mit der Maus.
    Einer der Hauptgründe, warum ich es in der DDR ausgehalten habe und warum ich mich gerne an die Zeit zurückerinnere, ist simpel: das gelegentliche sagenumwobene Westpaket.
    Spielzeug? Playmobil, Lego und Matchbox-Autos. Comics? Micky Maus, Lustige Taschenbücher und Asterix-Hefte. West-Comics waren natürlich verboten bei uns. Ich hatte trotzdem welche und nicht wenige. Turnschuhe? Adidas und Puma. Klamotten? C&A und was weiß ich noch. Ich naschte Haribo-Goldbären, Maoam-Kaubonbons, Raider (heißt jetzt Twix), Mars, Nutella – und zwar nicht nur zu Weihnachten. Später kamen dann die Bücher der »Drei ???«, BRAVO-Magazine und Schallplatten dazu. Möglich machten das die geliebten Westpakete und gelegentliche Besuche von Verwandten und Bekannten von drüben. Nein, ich möchte nicht gegenüber meinen ostdeutschen Altersgenossen (im wahrsten Sinne des Wortes) nachträglich angeben. Aber nicht alle in Ost und West wissen heute, dass man damals in der DDR nicht zwangsläufig hinterm Mond gelebt hat.
    An dieser Stelle möchte ich darum im Namen aller Zonis all den Menschen aus Westdeutschland danken,daß Ihr uns all die Jahre so viele Sachen geschickt und mitgebracht habt. Ohne Euch hätten wir den Herbst 1989 bestimmt schon auf 1979 verlegt. So konnten wir uns zehn Jahre länger der Illusion hingeben, Euer Westen wäre unser Paradies. Danke dafür.

Südvorstadt
    Manche Menschen sagen, sie wüßten nicht, woher sie kommen. Sicher meinen sie diese Frage philosophisch, aber ich weiß dafür ganz genau, woher ich komme. Ich komme aus der Leipziger Südvorstadt. Ein, architektonisch gesehen, gutbürgerliches Gründerzeitviertel, sehr symmetrisch aufgebaut, viele grüne Alleen, kaum Fabriken. Der riesige Auewald nur zehn Minuten Fußweg entfernt, das Stadtzentrum keine fünf Minuten mit der Straßenbahn, der Badesee fünfzehn Minuten mit dem Rad. Nicht weit weg ist auch der Scherbelberg an der Fockestraße, den die Neu-Leipziger heutzutage immer »Fockeberg« nennen, nur weil das so auf den Stadtplänen steht. Der heißt aber Scherbelberg. SCHERBELBERG! Klar?
    In der Südvorstadt läßt es sich wunderbar leben. Das war auch schon zu der Zeit so, als die vielen Geschäftsleute von drüben mit ihren schicken Westautos nur zweimal im Jahr zur Leipziger Messe kamen, einige D-Mark und den Inhalt ihrer Koffer bei uns ließen und dann wieder abhauten. Jetzt sind sie das ganze Jahr über da, bezahlen jeden Quadratmeterpreis für die schönen Jugendstilwohnungen und treiben damit die Mieten in die Höhe. Außerdem nehmen sie uns mit ihren dicken Arbeitgeberschlitten die
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