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Heisser Draht nach Paradiso

Heisser Draht nach Paradiso

Titel: Heisser Draht nach Paradiso
Autoren: Stefan Wolf
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1. Mit der Geldbörse fängt
alles an
     
    Die Abendsonne — eingeklemmt
zwischen zwei Wohntürmen am Westrand der Großstadt — lächelte mild. Ein
ähnlicher Ausdruck lag auf Gabys Gesicht. Aus gutem Grund. Übermorgen — am
Sonntag — ging’s ab in die Ferien: unter Palmen und südliche Sonne, an den
Luganer See.
    Jetzt ging Gaby durch die
Fußgänger-Zone, Ladenschluß. Menschenmengen quollen aus Kaufhäusern. Jedermann
ächzte unter der Sommerhitze, und die Eisverkäufer konnten die Eiswaffeln kaum
schnell genug füllen.
    Gaby hängte ihre Einkaufstüte
an den Fahrradlenker und hob das kesse Näschen, bereit loszuschieben — bis zur
Breitlinger Straße, wo man aufsitzen und fahren durfte. Dort hatten sich
Straßen-Musikanten aufgebaut in zwei Gruppen.
    Die eine — zwei Geiger —
spielte Mozart; die andere bestand aus Südamerikanern mit langen, schwarzen
Haaren. Indios. Sie musizierten brasilianisch, vermutlich Samba; und den
Mozart-Geigern liefen die Gesichter rot an vor Wut.
    In diesem Moment sah Gaby den Taschendieb.
    Er umrundete einen
Zeitungskiosk wie der Kater den heißen Brei, hatte die Schultern hochgezogen
und den Kopf gesenkt. Die Hände steckten in ausgebeulten Hosentaschen. Auch das
Gesicht war irgendwie ausgebeult, olivfarben, mit schwarzem Schnurrbart und
buschigen Brauen. Ein Typ wie der Stallmeister von Graf Dracula, jedenfalls
kein Mitteleuropäer mit gewaschenem Hals. Gabys Herz schlug schneller.

    Was tun? Kein Telefon in der
Nähe. Ein Polizist? Weit und breit nicht.
    Aber er ist es, dachte Gaby.
Ich erkenne ihn wieder. O ja! Ein Finstertyp vom Balkan. Sicherlich als
Meisterdieb ausgebildet — und hier ist ja ein goldener Boden dafür.
    Woher sie den Kerl kannte?
Vorgestern — nein, am Dienstag — hatte sie den Schnurrbärtigen beobachtet.
Zusammen mit Tim.
    Drüben am Maislinger-Berg — wie
die Großstadt-Straße heißt, weil sie etwas ansteigt — hatte das Pärchen vor dem
PREIS-GÜNSTIG-EINKAUFS-Markt auf Klößchen gewartet, der seinen Schoko-Vorrat
ergänzen mußte. Dabei sahen sie, wie besagter Taschendieb Zugriff.
    Blitzartig hatte er eine
Geldbörse gefischt aus dem Einkaufskorb einer Frau. Das sehen und lossprinten
war für Tim eins. Wenn Gaby jetzt daran dachte, krochen ihr kalte Schauer
unters T-Shirt.
    Tims Übereifer! Ein Porsche
konnte nicht mehr bremsen. Tim prallte gegen ihn ,volle Pulle’, und er hätte
tot sein können, wäre er weniger sportlich, weniger reaktionsschnell und
katzenhaft gewandt. Jedenfalls war der TKKG-Häuptling wie ein Stuntman beim
Film — wie ein Sensationsdarsteller — über die Motorhaube gehechtet, abgerollt,
geflankt, echt judo-mäßig, und unverletzt gelandet auf der anderen
Straßenseite.
    Blökende Hupen. Geschrei.
Kopfschüttelnde Passanten, Gaby hatte sich an der Ohnmacht vorbeigerettet, und
der Taschendieb war verschwunden, hatte offensichtlich begriffen, daß er
gemeint war.
    Eine Weile noch hatte Tim nach
ihm gesucht — vergebens.
    Jetzt war er hier, der Dieb,
dort beim Kiosk, stand nun neben einem Abfallkorb und drehte den Kopf nach
links und nach rechts, sandte schwarzäugige Blicke ab.
    Wenn ich ihn verfolge...,
dachte Gaby.
    Der Typ zog die linke Hand aus
der Tasche. Rasch ließ er was in den Abfallkorb fallen. Rechts um — und schon
mischte er sich in die Menge. Dort tauchte er unter; und Gaby konnte nur mutmaßen,
daß er in weitere Einkaufskörbe greifen würde.

    Entmutigt schob sie ihr Rad zum
Kiosk.
    Der Abfallkorb war an der
Rückwand befestigt und angefüllt mit allerlei Wegwerf-Produkten: zerlesenen
Zeitungen, Tüten, Bierflaschen, Plastikbechern vom Eis-Konditor,
Bananenschalen; sogar eine Sonnenbrille, der das linke Glas fehlte, lag dabei.
    Und eine Geldbörse. Lang, hoch,
rotes Leder, fast wie eine Brieftasche mit mehreren Fächern, auch einem für
Münz-Geld.
    Klarer Fall!
    Der Dieb hatte sie gestohlen
und weggeworfen, aber natürlich vorher geleert.
    Gaby beugte sich über den
Abfallkorb und streckte die Hand aus.
    „Hast du das nötig?“ hörte sie
eine Stimme neben sich. „Siehst nicht aus wie ‘ne Stadtstreicherin, die im Müll
gräbt.“
    Gaby wandte sich um.
    Der Typ mochte 16 sein, war
groß. Mit doofem Gesicht. Er hatte sein Anmache-Grinsen angeknipst und zeigte
außer gelben Zähnen viel Zahnfleisch.
    „Verpfeif dich!“ sagte Gaby.
    „Warum denn so unfreundlich?“
    „Hau ab! Ich mag’s nicht, wenn
man mich anquatscht.“
    „Kommst dir wohl edel vor, wie?
Aber im Abfallkorb
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