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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio
Autoren: Sascha Lange
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Leute hier in den 70ern leider noch nicht herausgefunden.
    Drei Jahre nach meiner Geburt zog meine Großmutter als Rentnerin zu meiner Tante nach Bad Godesbergbei Bonn. So bekam ich nicht nur endlich ein eigenes Kinderzimmer, sondern neben einer Westtante, einem Westonkel und zwei Westcousins auch eine Westoma.
    Ich war ein Einzelkind. Anders als viele Kinder in der DDR kam ich nicht mit einem Jahr in eine Kinderkrippe, sondern erst mit drei Jahren in den Kindergarten, denn ich war oft krank. Mein Kindergarten befand sich in kirchlicher Trägerschaft. Dort mangelte es uns an nichts, außer vielleicht an Kriegsspielzeug. Etwas, auf das Jungs wohl aus genetischen Gründen nicht verzichten wollen. Als Ausgleich dazu hatte ich in unserem Haus den etwa gleichaltrigen Tom, dessen Eltern ihn regelmäßig mit Spielzeug-Kalaschnikows und Gummi-NVA-Soldaten eindeckten. Es sollte dann noch eine Ewigkeit dauern, bis meine pazifistischen Eltern sich wenigstens zu einer gelben Wasserspritzpistole für mich durchringen konnten.
    Mein Vater hatte in den 70ern gleich zwei Jobs. Tagsüber saß er, verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeit, in der »Hauptabteilung Kultur« der Karl-Marx-Universität Leipzig an einem Schreibtisch, und abends spielte er mit Kollegen Kabarett. Zwei Jobs waren natürlich eine anstrengende Sache. Anfang der 80er Jahre konnte er endlich ausschlafen und war nur noch abends Kabarettist. Daß somit das gemeinsame Abendbrot selten stattfand, störte mich keineswegs. Während andere Familien artig mit Abendessen und Tischgesprächen beschäftigt waren, saß ich abends mit Schnittchen vor der Glotze und schaute Vorabendserien im Westfernsehen wie »Simon & Simon« oder »Ein Colt für alle Fälle«.
    Meine Mutter arbeitete zunächst als Laborantin in einem kleinen kirchlichen Krankenhaus im Süden der Stadt, einer wunderschönen dreistöckigen Villa, fast schon ein kleines Schloß. Manchmal, wenn ich krank war und nicht in den Kindergarten durfte, nahm mich meine Mutter, sobald es mir ein bißchen besser ging, mit zur Arbeit. Ich saß dort aber nicht im Labor rum, wo ich aus Langeweile am Ende noch die Testergebnisse manipuliert hätte, sondern spielte in dem zum Haus gehörigen Park und in der Gärtnerei oder jagte die Katzen durch die Gegend. Anfang der 80er Jahre blieb meine Mutter einige Zeit zu Hause, um meine Oma, ihre Schwiegermutter, zu pflegen, die zu uns gezogen war. Später wurde meine Mutter Requisiteuse in demselben Kabarett, in dem auch mein Vater arbeitete.
    Schöne Wohnungen waren Mangelware in der DDR, so wie eine ganze Menge anderer Dinge. Man konnte sie auch nicht in einem Westpaket geschickt bekommen. (Mittlerweile weiß ich, daß selbst im Westen schöne Wohnungen Mangelware sind. Deshalb hätten sie auch gar nicht verschickt werden können.) Glücklicherweise hörten meine Eltern eines Tages von einer Frau, die bei uns gleich um die Ecke in einem wunderschönen, aber unsanierten Jugendstilhaus eine hochherrschaftliche Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung mit ihrem Dackel bewohnte. Sie wollte sich verkleinern – nicht ganz unverständlich. Eine kleinere Wohnung fand sie nicht (Mangelware, wie gesagt), einen freien Wohnungsmarkt gab es nicht, alles wurde in der DDR zentral verwaltet. Aber wir durften mit ihr die Wohnung tauschen. Der Umzug fand quasi auf dem Fußweg statt.
    So zogen wir, zusammen mit der Mutter meines Vaters, im Sommer 1980 um die Ecke in die Kurt-Eisner-Straße. Zweiter Stock, 180 Quadratmeter, Parkett und Stuck im Originalzustand für 149 Ostmark Miete im Monat. Es gab sogar noch die Klingelleitungen ins frühere Dienstmädchenzimmer. Dennoch waren nicht unbeträchtliche Sanierungsarbeiten notwendig, die uns noch mal gut zwei Jahre auf einer Baustelle wohnen ließen. Aber diese Wohnung war wirklich jede Entbehrung wert.
    Unser schöner Südseitenbalkon wurde uns allerdings wenig später wegen Einsturzgefahr von der Wohnungsverwaltung gesperrt. Grund war sein desolater Originalzustand. Als kleines Trostpflaster wurden uns 1,50 Mark Miete erlassen. Wie es sich für ordentliche Oppositionelle gehörte, haben wir den Balkon trotzdem einfach weiter genutzt. Sozusagen illegal, jedoch unter Mißachtung jeder Konspiration, denn er stand jeden Sommer voller blühender Blumen.
    Unser Hof war ein kleines Spielparadies. Nicht daß er besonders groß war, aber Platz zum Budenbauen gab es genug, einen großen Sandkasten hatten wir auch. Außerdem standen im Hof zwei riesige Kastanienbäume,
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