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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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sofort.
    Er bekam einen Termin für zwölf Uhr. Die Uhrzeit hatte etwas Unheilschwangeres.
    Jonathan war Bilderrahmer. Er schnitt Glas und Karton für Passepartouts zurecht, fertigte Rahmen an und wählte aus dem eigenen Vorrat fertige Rahmen für unentschlossene Kunden aus. Ganz selten einmal fand er beim Kauf alter Rahmen auf Auktionen oder bei Altwarenhändlern ein Bild, das ihn zusammen mit dem Rahmen interessierte; das konnte er dann reinigen, in sein Schaufenster stellen und verkaufen. Aber viel Geld war mit dem Geschäft nicht zu verdienen. Er kam gerade so über die Runden. Vor sieben Jahren hatte er mit seinem Partner, einem Engländer wie er, aber aus Manchester, einen Antiquitätenladen in Fontainebleau eröffnet. Sie hatten hauptsächlich alte Möbel aufpoliert und verkauft, doch das Geld hatte für zwei nicht gereicht und Roy war ausgestiegen, um irgendwo bei Paris als Automechaniker zu arbeiten. Kurz darauf hatte ein Pariser Arzt das gleiche zu Jonathan gesagt wie zuvor schon ein Doktor in London: »Sie neigen zu Blutarmut und sollten sich öfters untersuchen lassen. Vermeiden Sie lieber schwere körperliche Arbeit.« Also hatte Jonathan Schränken und Sofas den Rücken gekehrt und sich der Arbeit mit Bilderrahmen und Glas zugewandt. Vor ihrer Heirat hatte er zu Simone gesagt, er habe vielleicht nur [24]  noch sechs Jahre zu leben, denn als er sie kennenlernte, hatte er gerade von zwei Ärzten erfahren, daß seine wiederkehrenden Schwächeanfälle von myeloischer Leukämie herrührten.
    Sollte er jetzt sterben, dachte Jonathan, als er ganz ruhig seinen Tag anging, könnte Simone ein zweites Mal heiraten. Sie half fünf Nachmittage die Woche von halb drei bis halb sieben in einem Schuhgeschäft auf der Avenue Franklin Roosevelt aus, das sie zu Fuß erreichen konnte; allerdings arbeitete sie dort erst seit letztem Jahr, seit Georges alt genug für den französischen Kindergarten war. Simone und er brauchten die zweihundert Franc pro Woche, die sie verdiente, doch Jonathan war nicht wohl bei dem Gedanken an Brezard, ihren Chef – ein Lüstling, der seinen Verkäuferinnen in den Hintern kniff und sicher im Hinterzimmer, das als Lager diente, auch weiter zu gehen versuchte. Simone war verheiratet, wie Brezard sehr wohl wußte; allzu weit konnte er also wohl nicht gehen, doch hielt das einen wie ihn nie davon ab, sein Glück zu versuchen. Simone flirtete nicht, ganz im Gegenteil: Sie wirkte merkwürdig schüchtern, was dafür sprach, daß sie sich nicht für attraktiv hielt. Jonathan liebte diesen Zug an ihr. Er fand sie geradezu umwerfend sexy, sie besaß eine magnetische sexuelle Anziehungskraft, die dem Mann auf der Straße jedoch nicht auffallen mochte, und es ärgerte ihn, daß ausgerechnet Brezard, dieser geile Bock, Simones ganz eigene Attraktivität bemerkt hatte und etwas davon für sich wollte. Nicht daß Simone viel von Brezard erzählte. Ein einziges Mal nur hatte sie erwähnt, daß er seinen weiblichen Angestellten (noch zweien außer ihr) zu nahe kam. Während [25]  Jonathan an diesem Morgen einer Kundin ein gerahmtes Aquarell zeigte, sah er für einen Moment Simone vor sich, wie sie sich nach einer Anstandsfrist dem widerwärtigen Brezard ergab, der schließlich Junggeselle war und finanziell besser gestellt als er. Unsinn. Simone konnte diesen Typ Mann nicht ausstehen.
    »Oh, wie schön! Wunderbar!« Die junge Frau im hellroten Mantel hielt das Aquarell auf Armeslänge von sich.
    Ein Lächeln stahl sich über Jonathans langes, ernstes Gesicht, als wäre seine eigene kleine Sonne hinter den Wolken hervorgekommen und leuchtete in ihm. Die Freude der Frau war so echt! Jonathan kannte sie gar nicht; sie holte nur ein Bild ab, das eine ältere Frau, vielleicht ihre Mutter, ihm gebracht hatte. Eigentlich hätte Jonathan zwanzig Franc mehr verlangen müssen, als ursprünglich genannt, weil der Rahmen ein anderer war als der von der Frau gewählte, den Jonathan nicht mehr auf Lager hatte; aber er erwähnte das gar nicht und nahm die vereinbarten achtzig Franc.
    Danach fegte er den Holzfußboden und staubte die paar Bilder in seinem kleinen Schaufenster ab. Sein Laden war regelrecht schäbig, fand er an diesem Morgen: Nirgendwo frische Farben, Rahmen jeder Größe lehnten an den ungestrichenen Wänden, Musterleisten hingen unter der Decke. Da war der Tresen mit einem Auftragsbuch, ein Lineal, Bleistifte. Hinten im Laden stand ein langer Holztisch, an dem Jonathan mit seinen Schneidladen, Sägen und
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