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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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Oktober 1971 bis zum 12.   Februar des folgenden Jahres. Genau vier Monate Pause schließen sich an, bevor abermals konkrete, mit dem vollendeten Roman übereinstimmende Handlungsskizzen einsetzen. Von den Ideen aus dem Winter 1971/72 läßt sich das nicht behaupten. Patricia Highsmith knetet den Stoff in diesem Stadium gehörig durch, wie es ihrer Arbeitsgewohnheit entspricht, und reichert ihn mit verschiedenen Motiven an, von denen kaum eines im Buch verbleibt. Zunächst – am 31.   Oktober 1971 – denkt sie sogar daran, Ripley selbst mit einer gefährlichen Blutkrankheit auszustatten, die ihm nur noch sechs Monate Lebenszeit lasse. Fremde, so der Entwurf, wollen ihn mit einem Mord beauftragen und für die Ausführung 250.000   Dollar bezahlen. Das Opfer soll ein fortschrittlicher russischer Politiker sein, der Auftraggeber eine rechtsradikale Gruppierung, die einen Umsturz plant. Dahinter steckt der ungewöhnliche Einfall, Tom Ripley könne sein Verhalten diesmal von hochherzigen politischen Absichten leiten lassen. Und tatsächlich, einige Absätze lang sprechen die Notizen von Einzelheiten wie einem jungen russischen [400]  (oder ungarischen) Flüchtling, dem Tom aus der Klemme hilft, von falschen Identitäten und einem Mord im Zug. Im November schließlich ist von einem »Helden« die Rede, der sich von Tom beim Mordgeschäft, das erkennbar nicht sein Metier ist, helfen lassen muß. Zwar werden die Ideen für die Handlung in den folgenden Monaten großenteils wieder verworfen, aber ein Gedanke vom 26.   November 1971 behält seine Gültigkeit: »Das Hauptmotiv für dieses Buch ist, mit der Todesfurcht zurechtzukommen, die wir alle spüren.«
    Um dieses Thema freizulegen, benötigt Patricia Highsmith ein besonderes Verhältnis zwischen den beiden Hauptfiguren. Sie dreht und wendet die psychologischen Möglichkeiten der Konstellation so lange, bis sie die labile Balance erzielt hat, die das vollendete Buch charakterisiert. Am 8.   Dezember 1971 schreibt die Autorin von den »Liebe-Haß«-Gefühlen, die der Mann (der zu diesem Zeitpunkt noch nicht Trevanny, sondern Willis heißt) für Ripley empfindet. Auch Ripley erlebt in bezug auf sein Gegenüber heftige emotionale Schwankungen. Am 25.   Dezember 1971 heißt es: »Der Mann verkörpert alles, was Tom stets verabscheut hat.« Einen Monat später: »Am Ende mag und respektiert Tom ihn.« Hinter diesen Notizbuch-Erwägungen verbirgt sich die alte Faszination der Autorin für das heimliche Charakterkomplement, für verschmolzene oder gleichsam ausgetauschte Gegensätze. Das Motiv bildet schon das Skelett des Romans Zwei Fremde im [401]  Zug. Und sieht man genau hin, entdeckt man in Ripley’s Game zugleich den Nachfolger und das Spiegelbild des Frühwerks. Denn fast alles aus Zwei Fremde im Zug ist in Ripley’s Game mit leichten Variationen wiederholt: der Männerbund, der auf der Verführung eines Unschuldigen zum Verbrechen gründet, die Eisenbahn als Medium der Begegnung, ein Mord, der »von außen« und im Schutz der Anonymität verübt wird, die störende und von der Bühne gedrängte Ehefrau, ja selbst deren bürgerlicher Familienhintergrund, der den Helden unter Erfolgsdruck setzt und ihm am Ende sein Scheitern vor Augen führt. So wie der Architekt und Ästhet Guy Haines durch einen attraktiven Mordplan korrumpiert wird, so ähnlich läßt sich auch Jonathan Trevanny dazu überreden, ein Auftragskiller zu werden. Wundert es da, daß Jonathan ebenfalls Ästhet ist? »Sein größtes Scheitern liegt in der Mittelmäßigkeit«, schreibt Patricia Highsmith am 23.   Januar 1972 in ihr Notizbuch. »Er hatte Schriftsteller sein wollen, doch es fehlte ihm an Disziplin und Stehvermögen.« Die Aufzeichnungen der Autorin bestätigen, daß im unsichtbaren Inneren dieses Buches ein Rest von Künstlerroman verborgen ist.
    Jedes Werk von Patricia Highsmith hat eine emotionale Färbung. Ripley’s Game scheint von der Schwermut und Todesnähe seiner zweiten Hauptfigur erfaßt. Aber die melancholische Stimmung rührt auch daher, daß Jonathan Trevanny wie ein Schiff ohne Kompaß dem Kurs Ripleys folgt. Nicht von ungefähr schenkt er seinem Sohn nach der Rückkehr von einer seiner dubiosen Reisen ein Gyroskop. Das Instrument erlaubt wie ein Kreiselkompaß seinem innersten Rad das freie Rotieren, unabhängig von der Schräglage des Schiffes oder dem Rollen der See, und damit eine eindeutige Bestimmung des Nordpols. Es ist das schönste [402]  Geschenk, das er dem
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