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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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damit seine Familie, so das Versprechen, nach seinem Ableben nicht mittellos zurückbleibt. Da Jonathan Trevanny arm ist, darüber hinaus aber auch anständig, ringt seine Rechtschaffenheit mit der verführerischen Möglichkeit, Frau und Kind nach seinem Tode versorgt zu sehen. So ringt sie eine Weile – und verliert. Das Erschlaffen der moralischen Spannkraft gehört zu den Vorgängen, denen Patricia Highsmith in ihrem Werk meisterhafte Seiten gewidmet hat, so auch hier. Das Erstaunliche ist, daß der Leser (so wenig wie die Figur) gar nicht recht weiß, warum der Wagen, nachdem er einmal in Bewegung gesetzt wurde, so rasch Fahrt aufnimmt. Ebenso wie die genauen Motive der ethischen Entscheidung verschleiert die Autorin, daß es sich [389]  um eine abschüssige Strecke handelt, die naturgemäß nur in eine Richtung führen kann. So entsteht der Eindruck, der zwischen Zweifel und Verführung hin- und hergerissene Jonathan werde sanft, aber mit Bestimmtheit geschubst, damit er den ersten Schritt tut und die Handlung des Romans wie einen Spielmechanismus in Gang setzt.
    Als Mechanismus betrachtet, bietet der Roman Ripley’s Game mehrere Funktionsteile, die mit der Kriminalhandlung nicht unbedingt zu tun haben, zwei separate Kräfte, die den Engländer Jonathan Trevanny antreiben. Die eine Kraft ist der freundschaftliche Männerbund, wie er in vielen Highsmith-Romanen vorkommt, eine im verborgenen wirkende Gegeninstanz zu der stets öffentlich agierenden Erregung über Mord und Verbrechen. Die zweite Kraft ist Jonathans Todestrieb (oder zumindest ein spürbarer Mangel an Gegenwehr). Das Zusammenspiel der beiden Kräfte ist das heimliche Gesetz des Romans. Es verleiht ihm seinen eigenartigen fatalistischen Schimmer (denn Freundschaft währt über den Tod hinaus), und es lenkt ihn sicher bis an sein wahrhaft atemberaubendes Finale.
    Ausgerechnet das Motiv, ohne das der ganze Roman auseinanderfiele, weil es keine Rechtfertigung für Jonathan Trevanny gäbe, einen wildfremden Mann in der Hamburger U-Bahn zu erschießen, ausgerechnet der medizinische Vorwand also kommt freilich auf ziemlich dünnen Beinen daher. Jonathan weiß von seinem Arzt in Paris, der die Leukämie diagnostiziert hat, daß ein Todesurteil mit unbestimmter Galgenfrist über ihn gesprochen ist, er hat denselben Befund auch von einem Arzt in Fontainebleau gehört. Welchen Grund sollte er haben, einen dritten [390]  Spezialisten in Hamburg zu konsultieren? Und einen vierten in München? Das Ganze ergibt im Licht eines realistischen Romans wenig Sinn. Vielleicht will Patricia Highsmith ja, daß wir die Fadenscheinigkeit der Ummantelung erkennen? Denn die als Köder ausgelegten Termine mit diversen Spezialisten bringen nicht nur keine neuen medizinischen Erkenntnisse, die Jonathans Handeln beeinflussen könnten, die Arztvisiten werden auch von den Figuren selbst wie ein vernachlässigbares Detail behandelt. Es ist nicht einmal nötig, wie Reeves Minot an späterer Stelle überlegt, die Laborergebnisse zu fälschen, denn Jonathan scheint ohnehin bereit, an dem hochriskanten Spiel teilzunehmen. Er tut es, weil er insgeheim bereit ist zu sterben.
    In dieser durchaus nicht gewöhnlichen Nachgiebigkeit gegenüber dem Tod darf man ein wesentliches Motiv des Romans sehen: Im Zentrum agiert ein Mann, der seinem Ende bewußt entgegengeht, statt ihm auszuweichen, und der sich sein eigenes Scheitern vergegenwärtigt. Das heißt zugleich, daß Jonathan den heimtückischen Plan Ripleys, der ihn zum Mittäter machen soll, nun seinerseits benutzt, um Bilanz zu ziehen und sich fast willenlos vom Leben zu verabschieden. Die Angst vor dem Scheitern (failure) ist bei Patricia Highsmith eine ständig präsente Besorgnis im halbdunklen Hintergrund ihrer Bücher. Da Jonathan sich als Versager empfindet und sein Leben als etwas Absurdes, wie er in seiner letzten Minute erkennt, bleibt als unzweifelhafte Leistung allein sein nützlicher Tod.
    In den Notizbüchern der jungen Patricia Highsmith tauchen hin und wieder Vanitas-Stimmungen auf, der Gedanke, das Wissen um einen sich nähernden Tod enthülle [391]  die Bedeutung des Lebens. Einmal schreibt die Dreiundzwanzigjährige von einem Abend mit sechs Freunden in einem frischgebauten Haus in Texas. Alle trinken Rum mit Wasser, man spricht über einen Song im Radio (»ein dummer Song, den jeder von uns bald vergessen haben wird«), über den Wind, der aufgekommen ist, oder die Vorzüge zweier neuer Golfplätze. »Bald werden wir
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