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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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fühlt Tom sich im Vergleich zu den Mafia-Haien »fast tugendhaft«.
    Doch man muß den Roman nicht über den Kopf der [394]  Autorin hinweg zu deuten versuchen, seine Effekte nähren sich von konkreten Einfällen, die sich schon in den früheren Ripley-Büchern bewährt haben. Die Rede ist vom metaphorischen Gewicht der Kleidung. Kapitel fünf, das Jonathan Trevanny mit dem Gedanken an den Tod konfrontiert, setzt zugleich die sorgfältig kalkulierte Garderobensymbolik in Gang. Gleich zu Beginn des Kapitels steht Jonathan am Fenster und beobachtet Simone beim Aufhängen der Wäsche. Jedes Stück, das im Garten trocknen wird, ist von Bedeutung, von den Socken bis zum Büstenhalter. Nur Bettlaken kommen nicht auf die Leine, Simone gibt sie zur Reinigung, weil sie auf perfekt gebügelte Laken Wert legt – ein Luxus, wie der Leser weiß, vielleicht der einzige, den diese Frau sich leistet. Dann sehen wir, wie sich ihr gelenkiger Körper in Wollhosen und einem roten Pullover (zweifellos einem billigen Pullover) nach Küchenhandtüchern niederbeugt, ein Tableau bescheidenen, ehrbaren Lebens in der französischen Provinz. »Es war ein schöner, sonniger Tag; die sanfte Brise brachte eine Ahnung vom Sommer.«
    Von diesem Augenblick an erzählt der Roman seine Geschichte auch durch Kleidungsstücke und was mit ihnen geschieht. In einem Hamburger Schaufenster sieht Jonathan kostbare Pullover und einen seidenen Morgenmantel, Schätze, die ihm (und Simone) schon nach dem ersten Mord zugänglich sein werden. Gewissermaßen zur Feier des Tages hat er seinen besten Anzug mitgebracht, das einzige Stück, das er im Hotel aus dem Koffer nimmt. Der Mann, den er erschießen soll, Bianca, trägt gewöhnlich einen tief ins Gesicht gezogenen Hut und einen Mantel mit [395]  hochgeschlagenem Kragen. Damit er die Pistole versteckt am Körper tragen kann, erhält Jonathan von Reeves einen rotbraunen Tweedmantel mit einem Loch in der Seitentasche. Später, im Hotel, wird ihm die symbolische Bedeutung dieses fremden, nicht ganz neuen und etwas zu weiten Kleidungsstücks durchaus bewußt: Er, Jonathan, kann so tun, als wäre er ein anderer, als schauspielerte er nur und als wäre auch die Pistole nicht echt – die unübersehbare Parallele zu Ripleys Inbesitznahme einer neuen Identität durch das Anlegen fremder Kleidung, die das zentrale Geschehen im ersten Ripley-Roman aus dem Jahr 1955 bildet.
    Und tatsächlich, nicht der Mafioso Bianca scheint das Objekt von Jonathans Mordanschlag zu sein, sondern der graue Stoff, den der Italiener am Körper trägt; nicht auf den Menschen zielt Jonathan Trevanny in der Sekunde vor dem Schuß, sondern auf die Mitte des wollenen Mantels. Um die sexuelle Ambiguität des mörderischen Paktes zwischen Tom/Reeves und Jonathan anzudeuten, genügt der Autorin das Stück eines Damenstrumpfes, welches der Attentäter zur Vermeidung von Fingerabdrücken um den Griff der Pistole legen soll – subtil erinnert dieses Detail an den Erstlingsroman Zwei Fremde im Zug (1950) und die roten Damenhandschuhe, die Charles Bruno, der seinen Vater ermorden lassen will, seinem »Freund« Guy Haines zur Ausübung der finsteren Tat mitgibt. Sobald der Mord in der U-Bahn absolviert ist, kehrt Jonathan vorübergehend wieder zur (auch sexuellen) Normalität zurück. Wie jeder brave Ehemann mit Geld in der Tasche kauft er seiner Frau etwas Hübsches zum Anziehen, nämlich ein senfgelbes Tweedkostüm, das bei Simone Rührung und Dankbarkeit [396]  auslöst. Noch scheinen alle Dinge an ihrem Platz zu sein. Aber nicht mehr lange.
    Denn der nächste Auftragsmord, zwischen München und Paris, wartet schon. Wieder bringt Jonathan seinen besten Anzug und seine guten Schuhe mit. Aber jetzt kann er nicht mehr so tun, als wäre er ein anderer: Reeves schlägt vor, ihm einen neuen Mantel zu kaufen, was gleichbedeutend ist mit seiner Geschäftskleidung für die erste Klasse, der textilen Verlängerung seiner Identität, ihm selbst. Jonathan läßt also seinen alten Überzieher im Hotel zurück, wählt in einem vornehmen Münchner Geschäft einen dunkelgrünen Wollmantel aus (für den Reeves unbedingt bezahlen möchte) und sagt sich zur Beruhigung, er werde ihn vielleicht nur vierundzwanzig Stunden zu tragen haben: Ganz wohl fühlt er sich in seiner neuen Arbeitsuniform nicht. Mit Tom Ripleys Hilfe jedoch übersteht er auch den zweiten Mord (und rettet seinen Retter vor dem Sturz aus dem fahrenden Zug, indem er ihn an den Jackenschößen
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