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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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die Lebenden da, nicht für die Toten. Während der Trauerfeier arbeitete er still für sich im Garten (er würde diesen verfluchten Bauarbeitern wegen des Gewächshauses Beine machen müssen). Inzwischen war er fast sicher, daß Jonathan ihn vor jener Kugel hatte schützen wollen und sich absichtlich vor ihn geworfen hatte.
    Sicher würde die Polizei Simone in den kommenden Tagen vernehmen und den Namen des Freundes und Helfers ihres Mannes wissen wollen. Waren die Italiener, die mittlerweile womöglich als Mafiamänner identifiziert waren, [381]  unter Umständen hinter jenem Freund hergewesen, statt hinter Jonathan Trevanny? Die Beamten würden der trauernden Witwe ein paar Tage Zeit geben, sich zu erholen, und sie dann erneut befragen. Er konnte sich vorstellen, daß Simone sich bis dahin noch stärker in die eingeschlagene Richtung bewegen würde: der Freund wolle seinen Namen nicht genannt haben, er stehe ihnen nicht nahe und habe in Notwehr gehandelt, genau wie ihr Mann. Sie wolle diesen ganzen Alptraum nun vergessen.
    Rund vier Wochen später, im Juni, als Héloïse längst aus der Schweiz zurück war und Toms Vermutungen in Sachen Trevanny sich als richtig erwiesen hatten – die Zeitungen hatten keine weiteren Aussagen Madame Trevannys gebracht –, kam ihm Simone auf dem Gehweg der Rue de France in Fontainebleau entgegen. Tom schleppte sich mit einem schweren Pflanzenkübel ab, einer Art Urne, die er gerade für den Garten gekauft hatte. Er war überrascht, sie zu sehen, hatte er doch gehört, sie sei bereits mit ihrem Sohn nach Toulouse gezogen. Dort sollte sie sich ein Haus gekauft haben. Diese Neuigkeit hatte Tom der junge und aufdringliche Besitzer des neuen und teuren Feinkostgeschäfts verraten, das in Gauthiers Laden für Künstlerbedarf eröffnet hatte. Toms Arme konnten den schweren Kübel kaum noch halten, den er beinahe dem Blumenverkäufer anvertraut hätte; in der Nase hatte er noch den unangenehmen Geruch von céleri remoulade und Hering in Sahne, was ihn an die geruchlosen Farbtuben, unberührten Pinsel und die reinweiße Leinwand erinnerte, die er früher in Gauthiers Geschäft gesehen hatte; außerdem wähnte er Simone schon Hunderte von Kilometern weit weg – [382]  jedenfalls dachte Tom einen Moment lang, er habe eine Vision und sehe einen Geist. Er trug kein Jackett, das Hemd war nicht mehr knitterfrei, und wäre die Frau vor ihm nicht Simone gewesen, er hätte vielleicht die Urne abgesetzt und sich kurz ausgeruht. Sein Wagen stand an der nächsten Ecke. Simone sah ihn, und ihre Augen funkelten wütend, als nehme sie einen Feind ins Visier. Sie erreichte ihn, blieb kurz stehen, und als auch er stehenbleiben wollte, um wenigstens » Bonjour, Madame« zu sagen, spuckte sie nach ihm, verfehlte sein Gesicht, ja verfehlte ihn völlig, und hastete weiter in Richtung Rue Saint-Merry.
    Vielleicht war das ihre Art der Rache, dachte Tom, vergleichbar der Vergeltung der Mafia. Mehr würde hoffentlich nicht kommen, weder aus Italien noch von Madame Simone. Genaugenommen war das Anspucken, ob gut oder schlecht gezielt, zwar unangenehm, aber eine Art Garantie: Hätte nämlich Simone nicht beschlossen, das Schweizer Geld zu behalten, hätte sie sich mit Anspucken sicher nicht begnügt und er säße schon im Gefängnis. Simone schämte sich bloß ein bißchen. Insofern ging es ihr nicht anders als den meisten Menschen auf der Welt. Und er glaubte sogar, sie habe ein ruhigeres Gewissen, als ihr Mann es hätte, wäre er noch am Leben.

[383]  Anhang

[385]  Nachwort
    Eine der wenigen Gesellschaftsszenen bei Patricia Highsmith (oder das, was man im bürgerlichen Roman des neunzehnten Jahrhunderts so nennen würde) findet sich im vierzehnten Kapitel von Ripley’s Game. »Ganz Fontainebleau ist heute abend hier«, sagt der festlich gekleidete Pierre Gauthier, in dessen Geschäft Tom Ripley seine Malutensilien kauft, und läßt sein »gutes Auge« über die Besucher gleiten, die zu dem außerordentlichen Kulturereignis erschienen sind: Ein Streichquartett gastiert in der Stadt. Das Kapitel gewährt die seltene Gelegenheit, Ripley von außen zu sehen, durch die überaus kritischen Augen von Simone Trevanny. Was hier zu lesen ist, könnte den Leser freilich verblüffen: »Ripley fiel auf, nicht weil er ziemlich groß war, eher weil er mit seinem dunkelblonden Haar, das im Licht der Kronleuchter golden leuchtete, nicht wie ein Franzose aussah. Er trug ein pflaumenfarbenes Satinjackett. Die attraktive
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