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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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ausgehen«, heißt es an jenem 19.   Juni 1944 im Notizbuch, »um uns einen Film anzuschauen, den wir seit fünfzehn Minuten umständlich aussuchen. Doch wenn wir morgen stürben, oder heute abend! Wenn wir nur wüßten, daß wir morgen oder heute abend sterben müssen, wovon hätten wir dann gesprochen?« Fünf Jahre später, am 30.   Januar 1949, derselbe Gedanke: »Wenn ich wüßte, daß ich morgen sterben muß, wie gierig würde ich dann ein gewöhnliches Mietshaus in meiner Straße besuchen, die Kinder anschauen, die mir auf dem Gehweg all die Jahre etwas zuviel waren, die Einzelheiten des Haushalts bewundern und mit Rührung den Ausdruck auf den groben irischen Gesichtern betrachten.« Der Tod, so der Refrain in den Aufzeichnungen aus späteren Jahren, ordnet die Zeit neu. Er lehrt – ohne Trost –, mit anderen Augen zu sehen.
    Das Echo dieser Überlegungen erklingt in Ripley’s Game, und es enthält keinerlei erbauliche Botschaft. Am klarsten tritt das Sterben in Jonathans Gesichtskreis, als er sich des etwas schäbigen, noch immer nicht abbezahlten »Sherlock-Holmes-Hauses« bewußt wird, in dem er mit seiner Familie lebt. Plötzlich begreift er, daß er mit Simone nie ein anderes, fröhlicheres Haus kennenlernen und mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Haus sterben wird: [392]  Es war schon da, als er geboren wurde, und es wird Jahrzehnte nach seinem Tod noch immer stehen. In seiner Vorstellung trägt das Flugzeug nicht ihn, Jonathan, sondern einen anderen Menschen nach Hamburg, während es den alten Jonathan in seinem alten Haus zurückläßt. Hier, im fünften Kapitel, setzt die Spaltung ein, die den Bilderrahmer aus seiner früheren Existenz hinauskatapultiert. Und alle Folgen hängen an dieser Entscheidung. Denn von jetzt an erzählt der Roman auch die Geschichte eines Mannes, den eine verführerische Macht, Tom Ripley, aus seiner Ehe und seinem Lebenskreis herauslockt, um ihn einem Männerbund zuzuführen, in dem Mord zum täglichen Geschäft gehört und ein Freund auf den anderen zählen kann. Und koste es das Leben.
    Wer unter diesen Bedingungen noch immer die gefährliche Anziehungskraft Ripleys ergründen will, hat die Merkmale des Mannes rasch beisammen: Nicht nur sein Aussehen und Auftreten machen ihn interessant, seine Intelligenz, seine vollendeten Umgangsformen, sein Stil, nicht einmal das opulente Anwesen Belle Ombre oder die sporadische Anwesenheit einer attraktiven Ehefrau würden dafür ausreichen. Nein, die Eigenschaft, die ihn liebenswert macht und sogar das düstere Bild des entschlossen und erbarmungslos tötenden Mannes überstrahlt, ist die fürsorgliche Hilfe, die er seinen bedürftigen Freunden gewährt. Und die Szene im Zug, im elften Kapitel, als Jonathan vor seiner Mordaufgabe zu kapitulieren droht und Ripley, aufgetaucht aus dem Nichts, mit kleinem Lächeln dazutritt, den Namen des bedrängten Freundes spricht und dann sagt: »Geben Sie mir bitte das Ding? Die Garrotte«, [393]  diese Szene erinnert an die großen Abenteuerfilme aus Kindertagen, als von irgendwoher, aus dem Wald, aus den Wolken, womöglich mit einem triumphierenden Fanfarenstoß, die Rettung herangerauscht kam, die Nachschubkräfte des Guten, die das Böse unweigerlich in die Flucht schlagen würden. Genauso geschieht es hier. Gemeinsam ermorden Tom und Jonathan den prominenten Vertreter einer Mafia-Familie, und das Teamwork des Tötens macht sie zu Freunden.
    Es ist, wie könnte es anders sein, eine Freundschaft unter Highsmith-Bedingungen. Das heißt, nahezu alle Merkmale der Normalität verschwinden. Das Universum ordnet sich neu, und zwar nach den Regeln des Spiels, an dem Jonathan von nun an teilnimmt. Auch er vergißt jetzt seine Frau, so wie Tom die seine vergißt, wenn es um das Töten geht, auch er denkt über die Gefährlichkeit der Mafia nach und kompensiert die Abwesenheit von seiner Familie durch Geschenke – analog zu dem Aufmerksamkeitsritual zwischen Tom und Héloïse, bei dem die schön verpackte und stilvoll überreichte Gabe der Ersatz für jede tiefere Beschäftigung mit dem Menschen ist. Daß mehrfacher Mord in diesem Ambiente nicht so unangenehm auffällt, wie er es eigentlich müßte, liegt sicherlich auch daran, daß dem Ripley-Haushalt in diesem dritten Band ein Gegner von außen zuwächst, der durch unzweifelhafte moralische Anstößigkeit ein ausreichendes Kontrastmittel darstellt, damit der Held als Repräsentant des ethischen Durchschnitts durchgehen kann. Tatsächlich
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