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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Teil 1
    »Niemals«, sagte Wissler. »Er bekommt das, was ausgemacht war und keinen Pfennig mehr. Sagen Sie ihm das. Und fügen Sie ruhig hinzu, daß er den Bogen besser nicht überspannen sollte. Ich kann das Geschäft auch mit jemand anderem machen.«
    Die Worte waren an den hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann auf der anderen Seite des Tisches gerichtet, eine ungepflegte Erscheinung mit Dreitagebart, fleckigen Tarnhosen und einem zerrissenen grünen Pullover aus alten NATO-Beständen, bei dessen bloßem Anblick Mewes bereits einen heftigen Juckreiz verspürte. Der Partisan hatte die schmutzigsten Hände, die Mewes jemals gesehen hatte, und hätte man seine Kleidung einer etwas gründlicheren Inspektion unterzogen, hätte man daraus vermutlich seinen Speiseplan der letzten drei Monate rekonstruieren können. Dem Geruch nach zu urteilen, der ihn umgab, schien er allerdings zum überwiegenden Teil aus Knoblauch und Urin bestanden zu haben. Das einzig Saubere an dem Burschen waren seine Waffen: eine Pistole, deren Griff aus seinem Hosenbund hervorsah, und eine seit zwanzig Jahren veraltete, aber garantiert hundertprozentig funktionstüchtige Kalaschnikow, die er über den Knien liegen hatte.
    Seine abgebrochenen Fingernägel verursachten unangenehme, scharrende Geräusche, während sie über den Schaft der Waffe strichen. Der Anblick der gesamten Erscheinung löste in Mewes eine Mischung aus Ekel und Furcht aus, wobei der Ekel überwog. Wenigstens im Moment noch.
    »Übersetzen Sie!« verlangte Wissler, als sich der Partisan nicht rührte, sondern ihn nur abschätzend aus seinen unangenehm stechenden Augen ansah. Es folgten zwei, drei weitere Sekunden, in denen die vollkommen unterschiedlichen Männer ein stummes Blickduell ausfochten, aber schließlich bequemte sich der Partisan, sich halb auf seinem Stuhl herumzudrehen und Wisslers Worte auf russisch zu einem der beiden Männer zu wiederholen, die in den Schatten im hinteren Teil des Raumes saßen.
    Wenigstens vermutete Mewes, daß er es tat. Er verstand nichts von dem, was er sagte, denn er war des Russischen ebensowenig mächtig wie Wissler. Ein Fehler, wie er längst eingesehen hatte. Sie hätten darauf achten sollen, einen Führer zu haben, der russisch sprach. Immerhin hatten sie diesem Mann ihr Leben anvertraut. Aber das war nicht der einzige Fehler in ihrer Planung gewesen.
    Diese ganze hirnrissige Aktion war ein einziger Fehler gewesen.
    Er trat mit zwei Schritten neben Wissler und senkte die Stimme zu einem Flüstern, von dem er wenigstens hoffte, daß der Mann auf der anderen Seite des Tisches es nicht verstand. »Warum geben Sie ihm das verdammte Geld nicht?« fragte er. »Es sind umgerechnet nicht einmal fünfzig Mark!«
    Wisslers Reaktion überraschte ihn total. Der Österreicher wirbelte auf dem Absatz herum, hob die Hände, als wollte er ihn am Kragen packen und schütteln, und fuhr ihn an: »Halten Sie sich gefälligst da raus! Ich weiß schon, was ich tue!«
    »Aber -«
    »Bitte!« Wisslers Zorn erlosch so abrupt, wie er aufgeflammt war, aber dafür erschien etwas anderes, Neues in seinen Augen, das Mewes fast noch mehr erschreckte. Er sprach etwas leiser weiter, aber in einem solchen Ton erzwungener Ruhe, daß Mewes instinktiv einen halben Schritt vor ihm zurückwich. »Ich weiß schon, was richtig ist und was nicht. Bitte mischen Sie sich nicht ein, okay? Warum gehen Sie nicht nach nebenan und trinken einen Kaffee oder beruhigen Ihre Frau. Ich regele das schon.«
    Ungefähr eine Sekunde lang spürte Mewes nichts als fassungslosen Zorn. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein, ihn wie einen dummen Jungen aus dem Zimmer schicken zu wollen? Aber dann sah er noch einmal in Wisslers Augen, und er gewahrte darin noch immer dieses sonderbare, warnende Funkeln. Es war nicht der Moment für eine Kraftprobe.
    »Wie Sie meinen«, murmelte er. Eine weitere Runde, die an Wissler ging. Er drehte sich herum, bewies auch noch dem letzten im Zimmer, wie unsicher er in Wirklichkeit war, indem er ein paar Sekunden lang nervös an seinen Kleidern herumzupfte, und verließ schließlich mit übertrieben schnellen Schritten den Raum.
    Rebecca schlief. Sie hatte sich auf einer der beiden unbequemen Liegen vor dem Kamin zusammengerollt und so viele Decken über sich gehäuft, daß er im ersten Moment beinahe Mühe hatte, sie in dem graubraunen Gewusel überhaupt zu entdecken. Der Anblick erinnerte ihn wieder an eine weitere der zahllosen Sorgen, mit denen er sich im
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