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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Autoren: Patricia Highsmith
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Wunder hatte die Liebe ihn errettet – Liebe im wirklichen, nicht nur romantischen Sinne des Wortes, Liebe, die außerhalb seiner Kontrolle lag. In gewisser Weise hatte sie ihn vom Tode erlöst, doch wußte er, was er damit eigentlich meinte: daß die Liebe dem Tod seinen Schrecken genommen hatte. Und da war er nun, der Tod, sechs Jahre später, so wie Dr.   Moussu damals in Paris vorausgesagt hatte. Vielleicht. Jonathan wußte nicht mehr, was er glauben sollte.
    Er würde Moussu in Paris noch einmal aufsuchen müssen. Vor drei Jahren hatte Jonathan unter dessen Aufsicht in einem Pariser Krankenhaus einen kompletten Blutaustausch vornehmen lassen. Das Verfahren hieß »Vincainestine«, und die Idee (oder die Hoffnung) ging dahin, daß das ausgetauschte Blut keinen Überschuß an Leukozyten und Granulozyten mehr aufweisen würde. Aber nach ungefähr acht Monaten war wiederum ein Überschuß an weißen Blutkörperchen festgestellt worden.
    Bevor er jedoch einen Termin mit Dr.   Moussu vereinbarte, wollte er Alan McNears Brief abwarten. Er war sicher, daß Alan sofort zurückschreiben würde. Auf Alan war Verlaß.
    Bevor Jonathan seinen Laden verließ, warf er einen [35]  letzten verzweifelten Blick in den armseligen Raum. Allzu verstaubt war er nicht, nur die Wände müßten frisch gestrichen werden. Sollte er sich die Mühe machen, den Laden aufzupolieren, sollte er seine Kunden schröpfen wie so viele Bilderrahmer, indem er ihnen glänzendes Messing zu überhöhten Preisen andrehte? Jonathan wand sich innerlich. So etwas lag ihm nicht.
    Das war am Mittwoch gewesen. Am Freitag hatte er sich mit einer hartnäckigen Schraube abgemüht, die seit rund hundertfünfzig Jahren in einem Eichenholzrahmen festsaß und keinerlei Anstalten machte, seiner Zange nachzugeben, als er auf einmal das Werkzeug fallen lassen und sich auf eine Holzkiste an der Wand setzen mußte. Im nächsten Moment stand er wieder auf und spritzte sich Wasser ins Gesicht, so tief über den Ausguß gebeugt, wie er nur konnte. Kurz darauf war der Schwächeanfall vorüber, und gegen Mittag dachte er schon nicht mehr daran. Diese Anfälle kamen alle zwei bis drei Monate. Jonathan war froh, wenn sie ihn nicht auf offener Straße erwischten.
    Am Dienstag, sechs Tage nachdem er an Alan geschrieben hatte, bekam er einen Brief aus dem Hotel New Yorker.
    Samstag, d. 25.   März
    Lieber Jon!
    Wie ich mich freue, daß Du mit Deinem Hausarzt gesprochen hast und daß der neue Befund gut ist! Der Mann, der mir sagte, es gehe Dir schlechter, war ein kleiner Glatzkopf mit Schnurrbart und Glasauge, etwa Anfang Vierzig. Er schien sich ernsthaft Sorgen zu machen. [36]  Vielleicht solltest Du ihm nicht allzu böse sein, schließlich könnte er es seinerseits von jemand anderem gehört haben.
    Die Stadt gefällt mir sehr gut – ich wünschte, Simone und Du könntet hier sein, zumal ich über ein Spesenkonto verfüge…
    Der Mann, den Alan meinte, war Pierre Gauthier; er hatte ein Geschäft für Künstlerbedarf in der Rue Grande. Kein Freund von Jonathan, nur ein Bekannter. Er schickte ihm oft Kunden, die ihre Bilder gerahmt haben wollten. Gauthier war bei der Abschiedsparty für Alan im Haus gewesen, das wußte Jonathan genau, und mußte an dem Abend mit ihm gesprochen haben. Ausgeschlossen, daß Gauthier böswillig Gerüchte verbreitete. Daß er von seinem Leiden wußte, überraschte Jonathan ein bißchen, doch so etwas sprach sich eben herum. Am besten redete er mit Gauthier und fragte ihn, wo er die Geschichte gehört hatte.
    Es war zehn vor neun. Jonathan hatte die Post abgewartet, genau wie gestern morgen. Am liebsten wäre er sofort zu Gauthier gelaufen, aber das hätte überängstlich gewirkt; besser, er ging ins Geschäft, um erst einmal zu sich zu kommen.
    Jonathan hatte Kundschaft, konnte daher erst kurz vor halb elf weg. Er hängte das Schild mit dem Zifferblatt hinter die Glastür, den Zeiger auf elf Uhr gestellt.
    Gauthier bediente gerade zwei Kundinnen, als Jonathan das Geschäft betrat. Er stöberte zwischen den Pinselgestellen herum und tat so, als suche er etwas, bis Gauthier frei war. Dann sagte er:
    [37]  »Monsieur Gauthier! Wie geht es Ihnen?« Er streckte ihm die Hand entgegen.
    Gauthier nahm Jonathans Rechte in beide Hände und lächelte. »Danke, gut. Und Ihnen, mein Freund?«
    »Kann nicht klagen… Ecoutez, ich will Ihnen nicht die Zeit stehlen, aber ich würde Sie gern etwas fragen.«
    »Ja, was denn?«
    Jonathan bedeutete Gauthier, weiter
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