Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
hatte ihn. Jedenfalls fast. Er hielt sich nicht lange auf. Aber lang genug für mich, um in der Zwischenzeit ein Taxi anzuhalten und ihm zu folgen.«
    »Hey, ich bin auch Taxi gefahren!«
    »Aber du bist nicht unterwegs rausgeflogen, oder? An einer roten Ampel drehte der blöde Fahrer sich zu mir um und wollte wissen, ob ich überhaupt bezahlen kann. Ich hatte zu wenig Geld dabei und er weigerte sich weiterzufahren. Das war in der Urbanstraße. Weiter vorn sah ich den Marrak blinken und in die Grimmstraße abbiegen. Ich bin dann zu Fuß hinterher. Sein Auto war in der Dieffe geparkt, aber ich wusste nicht, in welches Haus er verschwunden war. Ich wartete. Etwa zwei Stunden später verließ er die Nummer 93. Jetzt gab es zwei Möglichkeiten. Entweder hatte er nur einen Kunden besucht ...«
    »... oder er wohnte dort«, sagte ich. »Stimmt doch, oder? Und um das rauszufinden, bist du in der Dieffe herumgeschlichen. Und hast dabei mich getroffen.«
    Ich sah Oskar nicht, aber ich spürte, dass er nickte. Ich spürte außerdem einen bitteren Geschmack im Mund.
    »Du hast mich benutzt, um ins Haus zu kommen! Um dort nach dem Marrak zu suchen! Um rauszukriegen, ob er hier wohnt!«
    Wieder keine Antwort. Ich sagte auch nichts mehr. Das Schweigen breitete sich um uns aus wie eine tintenschwarze Pfütze. Wir hätten abhauen sollen. Stattdessen standen wir in einem einsturzgefährdeten Treppenhaus, sahen die Hände vor Augen nicht und uns fehlten alle Worte - mir vor Enttäuschung und Oskar, weil er nicht wusste, wie er sich entschuldigen sollte.
    »Am Anfang«, sagte er endlich und machte wieder eine kleine Pause. »Am Anfang warst du mir egal. Da wollte ich wirklich nur ins Haus kommen. Aber oben auf diesem Dachgarten —«
    »— wo du endlich gefunden hattest, was du wolltest —«
    »— da tat es mir leid, dass ich dich ausgenutzt hatte. Ich mag dich, Rico! Du bist mein einziger Freund. Du warst noch nie gemein zu mir, und du hast dein Leben riskiert, um mich zu finden.« Die letzten Worte waren ein Flüstern: »Riskierst es noch.«
    Ich grummelte ein bisschen. Einen anderen Freund als Oskar hatte ich auch nicht. Es ist merkwürdig, dass die Leute mit einem nicht so Schlauen praktisch genauso wenig anfangen können wie mit einem nicht so Dummen. Ich dachte an den Nachmittag auf dem Dachgarten und wie Oskar seine warme Hand in meine gelegt hatte. Das war sehr schön gewesen, und keine Lüge. Ich hätte es gespürt.
    »Wie hast du dich entfuhren lassen?«, sagte ich schließlich.
    Ich hörte ein erleichtertes Einatmen. »Das war einfach. Ich hatte es eigentlich sowieso für den Dienstagmorgen vorge- habt, es mir dann aber anders überlegt, weil ich versprochen hatte, dich zu besuchen.«
    »Ohne Helm?«, sagte ich ungläubig.
    »Ich habe weniger Angst, wenn du bei mir bist«, murmelte Oskar leise und sprach dann rasch weiter, als wäre ihm das peinlich. »Mit der U-Bahn fuhr ich zum Kottie und bin von dort Richtung Dieffe gelaufen. Aber in der Grimmstraße kam mir der Marrak entgegen und stieg in sein Auto.«
    Mir wurde ganz schwindelig. Ich hatte durchs Wohnzimmerfenster den Marrak aus dem Haus gehen sehen! Keine Minute später hatte er Oskar getroffen, oder Oskar ihn.
    »Es war eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen konnte!«, sagte Oskar. »Also fragte ich ihn, ob er mich mitnehmen könne — mein Papa sei letzte Nacht nicht aus der Kneipe nach Hause gekommen, ich würde ihn suchen und so weiter, ehm ... Was man sich halt auf die Schnelle so ausdenkt.«
    Oder was man schon ein paarmal erlebt hat, dachte ich.
    »Jedenfalls nahm er mich mit. Es dauerte nur drei Ampeln. Dann hatte ich ihm Papas Telefonnummer untergejubelt und der Marrak sprühte mir was ins Gesicht. Aufgewacht bin ich erst wieder nachmittags, als er mich in seiner Wohnung aus dem Wäschesack zerrte. Ich war geknebelt und gefesselt und ziemlich wuschig im Kopf, aber ich hatte -«
    »Du warst in seinem Wäschesack?«
    »Glaube schon. Sah aus wie einer.«
    Ich wusste nicht, was mich schlimmer aus der Fassung brachte: dass der Marrak, nachdem er Oskar vormittags betäubt und irgendwo unbeobachtet verpackt hatte, erst noch in aller Seelenruhe bis nachmittags seiner Arbeit nachgegangen war. Oder dass ich ihm im Treppenhaus begegnet war und mich mit ihm unterhalten hatte, während zu unseren Füßen Oskar im Wäschesack verpackt gewesen war. Das, beschloss ich, würde ich Oskar erst sehr viel später erzählen. Der Schock war schon für mich fast zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher