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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Marrak, so viel stand für mich inzwischen hundertprozentig fest, hatte nicht mal einen Schrank.
    »Eigentlich mag ich Kinder!«, sagte er mit zuckersüßer Stimme. »Ich mag sie sogar sehr. Ihre Eltern sollten bloß ein bisschen besser auf sie aufpassen, mehr wollte ich gar nicht. Böse Welt da draußen. Das Geld war mir egal. Doch, doch, ist schon so, ich mag Kinder. Sogar behinderte!«
    Jetzt drehte er sich ruckartig um und wandte sich mir zu.
    Über seine Schulter hinweg sah ich erleichtert, wie endlich Bewegung in Oskar kam, als hätte er nur daraufgewartet, erst mal ein bisschen mit dieser Renaissance angeben zu können, bevor er loslegte. Er begann behutsam und lautlos am Schloss herumzufummeln.
    »Aber ich mag auch meine Freiheit!«, pustete der Marrak mir mitten ins Gesicht. Sein Grinsen war so schief, als hätte man eine Clownsmaske in der Mitte durchgeschnitten. »Du hättest deine neugierige Nase nicht in meine Angelegenheiten stecken sollen, Rico Doretti! Jetzt, befürchte ich, muss ich sie dir leider abschneiden.«
    Er machte einen Schritt auf mich zu.
    Ich runzelte die Stirn.
    Das ging so nicht.
    »Ihre Reihenfolge ist falsch«, sagte ich.
    Der Marrak hielt verdutzt inne. »Was für eine Reihenfolge?«
    »Die mit dem Abschneiden. Erst sind nämlich die Ohren dran.« Ich begann aufzuzählen, mordsmäßig stolz, mir alles behalten zu haben, was ich von Felix wusste. »Entführer schneiden einem immer zuerst die Ohren ab, und zwar beide. Dann eine Hand, anschließend den —«
    »Du behinderter kleiner Schwach—«
    »Unterbrechen Sie mich gefälligst nicht!«
    Also echt, da behält man sich endlich mal was, und dann kommt so einer! Ich war dermaßen wütend, dass ich immer weiterbrüllte.
    »Anschließend den dazugehörigen Arm! Der andere muss dranbleiben, damit man Bettelbriefe schreiben kann! Aber ich sage Ihnen gleich, meine Mutter kann höchstens den Reichstag für Sie knacken! Und, ehm ... fertig!«
    Es hatte richtig gutgetan, den Marrak anzuschreien, auch wenn ich rückblickend leider sagen muss, dass meine Aussage nicht besonders intelligent gewesen ist. Wenn es bei Mama nichts zu holen gab, konnte er mir nämlich auch gleich beide Arme abrunkeln, bevor er sich an die Beine machte. Zu meinem großen Glück blieb ihm aber keine Zeit, um selber auf diese Idee zu kommen.
    Hinter mir ertönte ein Klacken.
    Die Tür flog auf. Bleiches Mondlicht ergoss sich wie Milch ins Treppenhaus. Ich schoss am Marrak vorbei wie der Blitz. Wäre Oskar nicht so klein, hätte ich ihn vielleicht nicht übersehen. Keine Ahnung, warum er nicht gleichfalls einfach losgehetzt war, sogar mit Vorsprung, aber er schien auf mich zu warten. Mitten im Türrahmen rannte iph ihn über den Haufen.
    Wir stürzten beide. Ich schlug heftig neben Oskar auf dem Hinterhof auf, schlitterte mit einem Unterarm über den rissigen harten Untergrund und wusste, dass er blutete. Etwas Schweres trat mir schmerzhaft in den Bauch und ein Aufschrei erklang, als der Marrak über mich stolperte und wie ein gefällter Baum zu Boden krachte. Neben mir rappelte Oskar sich auf und streckte eine Hand nach mir aus. Ich packte danach und kam stöhnend hoch.
    »Weiter, schnell!«, keuchte ich.
    Wir jagten wieder los, Oskar vor mir her, mit einem Kreischen, das selbst den angebundenen griechischen Helden O -also, das war der mit dem Holzpferd und der belagerten Frau - von seinem Schiffsmast gerissen hätte. Ich war schneller als Oskar, überholte ihn und kam als Erster an der großen Tür zum Vorderhaus an.
    An der großen klemmenden Tür!
    Ich drückte beide Hände auf die Klinke und zerrte mit aller Kraft an dem Flügel, der sich eigentlich öffnen sollte, doch der rührte sich kaum, gerade mal drei oder vier Zentimeter! Der entstandene Spalt war selbst für Oskar zu schmal, um durchschlüpfen zu können.
    Ich wirbelte herum, die harte Tür im Rücken. Neben mir presste Oskar sich an mich und umklammerte meine Hüften. Im Mondlicht sah ich, dass der Marrak wieder auf die Beine gekommen war. Er glotzte uns aus wilden Augen an und stürmte im nächsten Moment auf uns zu wie ein tobsüchtiger Stier.
    »Polizei!«, schrie eine Stimme über uns. Mein Kopf schnellte hoch. Oben, im vierten Stock, stand der Bühl im Fenster, eine Pistole in der ausgestreckten rechten Hand. »Bleiben Sie stehen, oder ich muss von der Schusswaffe Gebrauch machen!«
    Aber der Marrak hatte uns längst erreicht. Er türmte sich über Oskar und mir auf, ein schreckliches Gebirge aus
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