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Die Sherbrooke Braut

Titel: Die Sherbrooke Braut
Autoren: Catherine Coulter
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Kapitel 1
    »Ich habe sie gestern nacht gesehen - die jungfräuliche Braut!«
    »Ach was, tatsächlich? Stimmt das, Sinjun? Du schwörst, du hast den Geist gesehen?«
    Dann kamen zwei bibbernde >Huchs< und zwei kieksende Schreie, in die sich Angst und Erregung vermengten.
    »Aber ja, es muß die jungfräuliche Braut gewesen sein.«
    »Und hat sie dir gesagt, sie ist Jungfrau? Hat sie dir überhaupt etwas gesagt? Hast du nicht Todesängste gelitten? War sie ganz in Weiß? Hat sie gestöhnt? Sah sie mehr tot als lebendig aus?«
    Die Stimmen verhallten, doch er hörte es immer noch quietschen und kichern, während sie sich langsam von der Tür des Schloßherrenzimmers entfernten. Douglas Sherbrooke, Earl of Northcliffe, schloß energisch die Tür und schritt an seinen Schreibtisch. Verdammte Geisterfrau! Waren denn die Sherbrookes für alle Zeiten dazu verurteilt, diese Schwindelgeschichten von der bejammernswerten jungen Dame zu hören? Er warf einen Blick auf den ordentlichen Stapel Papier, seufzte, setzte sich hin und starrte geradeaus ins Nichts.
    Die Miene des Grafen verfinsterte sich. Sie verfinsterte sich öfter in letzter Zeit, denn man ließ ihm keine Ruhe, keinen einzigen Tag, kein einziges Stündchen. Tagaus, tagein lag man ihm sanft, aber beharrlich und in nur unerheblichen Abweichungen mit dem ewig gleichen Thema im Ohr. Er sollte heiraten, dringend, und einen Erben für die Grafschaft zeugen.
    Allmählich wurde er älter, mit jeder Minute schwand wieder ein Stück seiner Zeugungskraft, und diese Zeugungskraft wurde, laut ihrer Meinung, vergeudet, denn seinem Samen entsprangen zukünftige Sherbrookes, und dieser sein kostbarer Samen sollte rechtmäßig gebraucht und nicht willkürlich verstreut werden. So stand es schon in der Bibel geschrieben.
    An Michaelis würde er dreißig werden, pflegten sie zu sagen -all die Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen und die alten Diener, die ihn seit dem Tag kannten, als er mit Geplärr aus dem Schoß seiner Mutter auf die Welt gekommen war; all seine hämisch lachenden, lästigen Freunde, die, waren sie einmal bei jenem Thema, mit Begeisterung ihren unverschämten Vers dazu beitrugen. Er würde sie streng ansehen, mit der gleichen mißbilligenden Miene wie jetzt, und ihnen erwidern, daß er nicht an diesem Michaelis dreißig wurde, sondern neunundzwanzig. Daher war er an diesem Tag, in dieser Minute, achtundzwanzig, und Gottverdammich, jetzt war es erst Mai und nicht September. Gerade hatte er sich daran gewöhnt, zu sagen, daß er achtundzwanzig und nicht mehr siebenundzwanzig war. Das war doch wohl kein Alter!
    Der Graf blickte auf die Uhr aus vergoldeter Bronze auf dem Kaminsims. Wo steckte bloß Ryder? Zum Teufel mit seinem Bruder.
    Er wußte doch genau, ihr Treffen fand jeden ersten Dienstag im Quartal hier im Schloßherrenzimmer der Northcliffe Hall pünktlich um fünfzehn Uhr statt. Die Tatsache, daß der Graf diese vierteljährlichen Treffen erst vor etwa neun Monaten ins Leben gerufen hatte - nach dem Verkauf seines Offizierspatents und kurz nachdem der Friede von Amiens unterzeichnet worden war entschuldigte keineswegs Ryders Zuspätkommen an ihrem dritten Treffen. Nein, seinem Bruder mußte ein Rüffel erteilt werden, auch wenn Douglas’ Butler, Leslie Danvers, ein junger Mann von tüchtigem Wesen und einem aufreizend guten Gedächtnis, den Earl erst vor einer Stunde an das Treffen mit seinem Bruder erinnert hatte.
    Der plötzliche Anblick Ryders, der in das Schloßherrenzimmer hereinplatzte, windzerzaust, den Geruch von Leder, Pferd und Meer verströmend, ungestüm, viel weiße Zähne zeigend und gerade eben mal pünktlich - es waren erst fünf Minuten nach -, ließ den Grafen seinen Zorn vergessen. Schließlich näherte sich auch Ryder einem gefährlichen Alter. Er war beinahe sechsundzwanzig.
    Die beiden sollten Zusammenhalten.
    »Mein Gott, ein wirklich herrlicher Tag, Douglas! Ich bin mit Dorothy die Steilküste entlanggeritten, es gibt nichts Schöneres, nichts!« Ryder nahm Platz, schlug die in Wildleder gehüllten Beine übereinander und warf seinem Bruder noch eines seiner weißblitzenden Lächeln zu.
    Douglas wippte nachdenklich mit einem Bein. »Und du hast es geschafft, auf dem Pferd oben zu bleiben?«
    Ryders Grinsen wurde noch breiter. Bei näherem Hinsehen lag etwas Unstetes in seinen Augen. Er hatte den Gesichtsausdruck eines übersättigten Mannes, ein Ausdruck, den der Graf schon ziemlich gut kannte. Er stieß einen Stoßseufzer
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