Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
Polsterung war hellgrün. Das grüne Zimmer ; dachte ich, und zum ersten Mal, seit ich aufgebrochen war, lief mir ein echter eiskalter Schauer über den Rücken.
    Oskar selber sah tadellos aus. Gut, er war schließlich auch erst seit gestern hier eingesperrt. Aber irgendwie hatte ich ihn mir in zerrissenen Klamotten vorgestellt, mit dreckigem Gesicht und so weiter. Ohne seinen blauen Helm wirkte er merkwürdig schutzlos und die Segelohren waren wirklich wahnsinnig groß, aber das war's auch schon. Das einzig Ungewöhnliche an ihm war die kurze Kette, mit der sein rechter Arm an eine dicke stählerne Ose befestigt war. Die ragte über ihm aus der Wand - so hoch über ihm, dass Oskar sich unmöglich hinlegen konnte. Er hatte im Sitzen schlafen müssen.
    Das war der zweite eiskalte Schauer.
    Verstohlen blickte ich mich nach einem Klo um. Irgendwo musste eins sein, sonst hätte der Raum nicht nach Cheeseburgern, sondern nach Pipi gerochen.
    »Es ist da vorne im Flur, hinter der Wohnungstür«, sagte Oskar, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Genauso abgedichtet wie dieser Raum.«
    Das war es also, genau, wie ich es mir gedacht hatte. Wann immer der Bühl ein Kind zum Klo begleitet hatte, waren die Tieferschatten durch die Wohnung von Fräulein Bonhöfer gehuscht!
    Oskar strahlte mich aus grünen Augen und mit seinen großen, ungeputzten Zähnen an - noch so eine Schweinerei vom Bühl —, und auf einmal kam ich mir vor, wie ein großer Bruder sich vorkommen muss. Vor lauter Stolz kriegte ich einen knallroten Kopf. Ich hatte Oskar gerettet! Jedenfalls schon ungefähr zur Hälfte.
    »Was ist das für eine Kette?«
    »Qualitätsstahl, denke ich«, sagte Oskar. »Wahrscheinlich unlegiert, also mit einem Gehalt von weniger als 0,8 Prozent Mangan und 0,5 Prozent Silizium. Wäre jeweils mehr davon enthalten, dann —«
    »Reicht schon! Wie soll ich dich davon loskriegen?«
    Er hob den rechten Arm. Der Bühl hatte das andere Ende der kurzen Kette an einer Handschelle befestigt. »Der Schlüssel dazu ist unter den anderen«, sagte Oskar.
    »Unter welchen anderen?«
    »Bei den anderen, du meine Güte! In deiner Hand »Sags doch gleich!«
    »Lern du doch Deutsch!«
    Normalerweise wäre ich sauer gewesen, aber ich riss mich zusammen. Man wird wohl ein wenig bissig, wenn man gezwungen wird, dutzende von Hamburgern und Cheeseburgern und dergleichen zu essen. Bevor ich mich mit der Frage blamieren konnte, wie um alles in der Welt Oskar in so kurzer Zeit so viel Essen und vor allem so viel Cola in sich untergebracht hatte, ohne dass ihm braune Brühe aus der Nase lief, begriff ich, dass der Verpackungsmüll von allen sechs Opfern stammen musste.
    Irgendetwas störte mich an diesem Gedanken — plötzlich war da wieder dieses nagende Gefühl, dass die Bingokugeln in meinem Kopf zwischen vorwärts oder rückwärts, rechts oder links, vorher oder nachher in die falsche Richtung gekullert waren. Aber ich kam genauso wenig dahinter wie beim letzten Mal, noch weniger sogar, denn jetzt musste ich mich auf Oskars Befreiung konzentrieren.
    Der gesuchte Schlüssel war schnell gefunden, es war der kleinste von allen. Ich schloss die Handschelle auf. Oskar streifte sie ab und rieb sich das Handgelenk. Als er von der Matratze aufstand, knackten seine Knie und ihm entfuhr ein winziger Schmerzenslaut.
    »Hast du die ganze Zeit einfach nur rumgesessen?«, fragte ich.
    »Was heißt hier einfach?« Er musterte sein wundgescheuertes Handgelenk und auf seiner Stirn erschien eine senkrechte, verärgerte Falte. »Sitzen ist eine extrem komplizierte Angelegenheit!«

IMMER NOCH FAST SCHON DONNERSTAG
    DIE FLUCHT

    Lieber Herr Wehmeyer;
    ich will jetzt keine Beschwerden hören, dass ab diesem Kapitel Schluss ist mit lustig! Die folgenden Ereignisse waren dramatisch, und Sie können froh sein, dass ich sie hier im Krankenhaus überhaupt noch aufschreiben kann.
    Machen Sie sich schon mal Gedanken um den Bonus. Verhochachtungsvoll! Ihr Frederico Doretti

    Laufen war anscheinend weniger kompliziert als Sitzen, jedenfalls beschwerte Oskar sich nicht. Durch das Fenster in einem der Vorderzimmer vergewisserte ich mich im Vorbeigehen, dass beim Bühl noch Licht brannte. Tat es. Der Kinderzerschnibbler war sogar zu sehen. Er holte sich gerade was zu trinken aus seinem Kühlschrank und quatschte dabei in sein Handy. Womöglich beschimpfte er wieder Oskars Papa. Umso besser. Wenn Oskar und ich jetzt nicht das Hinterhaus zum Einsturz brachten, konnten wir unbemerkt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher