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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autoren: Andreas Steinhöfel
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was, fand ich, auch wenn er trotzdem ein Ferkel blieb, weil er seine muffige Bude nicht anständig lüftete. Seine Arbeitsklamotten lagen als dunkler Haufen unordentlich über den Boden verteilt. Fast hätte ich laut gejubelt: Der große Bund mit den vielen Sicherheitsschlüsseln hing an einer Gürtelschlaufe der Hose! Ich löste ihn so vorsichtig wie möglich, damit keins der hundert Teile anfing zu rasseln. Ein paar von ihnen fühlten sich gar nicht an wie Schlüssel. Eher wie Metallstücke, aus denen überall kleine Nippel und Noppen hervorragten. Wahrscheinlich öffnete man damit Geldschränke und dergleichen. Aber es waren die normalen Schlüssel, die ich brauchte.
    An die zwanzig Stück musste ich draußen praktisch lautlos ausprobieren, bis ich den richtigen gefunden hatte und die niedrige Tür des weißen Häuschens auf Marraks Dachgarten endlich nach außen aufschwang.
    Ich war längst nass geschwitzt vor Angst.

    Im Treppenhaus herrschte lausige Kälte. Mir zog sich alles zusammen. Es war, als hätte jemand eine Gruft geöffnet. Je tiefer ich die ausgetretenen Stufen hinunterstieg, umso unheimlicher wurde mir zu Mute. Die mit weißlichem Schimmel bedeckten Stufen knirschten und knarzten unter meinen unsicheren Füßen. Aus den dreckigen, feuchten Wänden ringelten sich schleimtriefende Würmer nach draußen, und das Stöhnen gemarterter Seelen aus den Folterkammern unter den tiefen Kellern bohrte sich mit spitzen Krallen in meine Trommelfelle.
    Also, so war das jedenfalls mal in einem Horrorfilm gewesen, den Frau Dahling irgendwann aus Versehen mitgebracht hatte. Ich hatte ihn toll gefunden und unbedingt zu Ende sehen wollen, im Gegensatz zu Frau Dahling, die ihr Gesicht die ganze Zeit hinter einem ihrer Plüschkissen versteckte und immer nur kurz rausgeguckt hatte, um sich ein neues Müffelchen zu schnappen. Ich wusste echt nicht, warum sie sich so anstellte. Wenn der Musikantenstadl lief, guckte sie schließlich auch die ganze Zeit hin.
    Nein, im Treppenhaus war es zwar wirklich sehr kalt und wegen der vernagelten Fenster so dunkel, als hätte mir jemand ein Tuch vor die Augen gebunden. Aber Angst machte mir das nicht. Naja, ein bisschen. Ich musste vor allem darauf achten, dass mir nicht alle möglichen gruseligen Sachen einfielen. Und das war leicht. In den letzten Stunden hatte ich so viel nachgedacht, dass mein Kopf sich anfühlte wie eine Waschmaschine im Schleudergang. Worauf ich viel eher achten musste, war, in dieser Finsternis keinen falschen Schritt zu machen. Das Hinterhaus war nach der Gasexplosion nicht ohne Grund abgesperrt worden. Einsturzgefährdet bedeutete, dass jede Treppenstufe mir unter den Füßen und jede Wand, gegen die ich mich stützte, unter meinen Händen wegbrechen konnte.
    Andererseits hatte der Bühl damit bisher offenbar auch keine Probleme gehabt. Und im Gegensatz zu ihm, der jedes Mal aus dem Keller raufstapfen musste, hatte ich es weniger weit. Vom weißen Häuschen aus gelangte ich einigermaßen rasch direkt in den fünften Stock, runter in den dritten waren es gerade mal vier Treppen.
    Dort wieder Schlüsselgefummel. Damit hatte ich gerechnet. Ohne Taschenlampe oder sonstige Beleuchtung war das der schwierigste Teil, aber diesmal ging es sogar schneller als oben auf dem Dach. Nur eine Handvoll Versuche, und plötzlich stand ich in der Wohnung vom toten Fräulein Bonhöfer. Dieser Schlüsselbund aus Marraks Sicherheitsfirma war ein wahres Wunderding.
    Ich drückte die Tür hinter mir zu und rief leise und nervös Oskars Namen. Keine Antwort. Er musste in einem der hinteren Zimmer versteckt sein. Bestimmt lag er geknebelt und total bewusstlos in irgendeiner Ecke, die nur mit Heu und Stroh ausgelegt war.
    Die Wohnung war komplett leer geräumt. Keine Möbel, keine Geister, nichts. Es roch nach Staub und Ruß, und außerdem schwebte da ein schwacher Duft in der Luft wie von diesen hübschen, kleinen lila Blumen. Veilchen. Das musste der Parfümgeruch von Fräulein Bonhöfer sein. Er hatte nicht nur die Gasexplosion und den Wohnungsbrand, sondern auch all die vielen seither vergangenen Jahre überlebt. Keine Ahnung, warum, aber der Gedanke machte mich richtig traurig.
    Ich schlich durch den Flur, an einem Klo, der Küche und dem ersten Zimmer vorbei. Nichts und niemand darin. Von draußen fiel verwaschenes Licht durch die schmutzigen Scheiben. Ich kriegte fast einen Herzinfarkt, als ich durch eines der Fenster auf die gegenüberliegende Fassade dem Bühl fast genau in seine
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