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Bettler 03 - Bettlers Ritt

Titel: Bettler 03 - Bettlers Ritt
Autoren: Nancy Kress
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    Das Gefängnistor schwang auf, und sie trat hindurch.
    Der Flugwagen stand in dreißig Metern Entfernung auf dem Parkplatz. Darum hatte sie ihren Ehemann gebeten: Komm mich nicht holen. Laß mich zu dir kommen. Will Sandaleros hatte verstanden. Er wartete allein im Wagen.
    Jennifer Sharifi stand still und betrachtete die Freiheit. Gras. Bäume. Blumen – GenMod-Ringel-Lilien, Silberrosen, Federnelken und Mondkraut. Es war Hochsommer. Der Aufseher neben ihr sagte etwas. Sie hörte ihn nicht.
    Siebenundzwanzig Jahre.
    Alles hatte sich verändert. Nichts hatte sich verändert. Siebenundzwanzig Jahre, seit man ihr den Prozeß gemacht, sie verurteilt und eingesperrt hatte wegen eines Verbrechens, das sie zweifellos begangen hatte: Hochverrat an den Vereinigten Staaten von Amerika. Nur war es kein Verbrechen gewesen, sondern eine Revolution, ein Kampf darum, sich von Schläfern zu befreien, die versuchten, Jennifer und ihre Leute zu berauben und zu vernichten. Die Regierung hatte dabei ruinöse Steuern, die jedes produktive Leben um seine Früchte brachten, als moderne Vernichtungswaffe benutzt; Jennifer ihrerseits hatte eine noch modernere in Stellung gebracht: gentechnischen Terrorismus. Jennifer Sharifi und ihre elf Schlaflosen-Bundesgenossen hatten fünf amerikanische Städte mit GenMod-Retroviren bedroht, bis die Schläfer sie und ihre Leute ziehen ließen.
    Doch das hatten sie nicht getan. Nicht, weil die Schläfer-Regierung etwa Schlaflose hätte überlisten können, nein, Jennifers Niederlage war aus einer anderen Richtung gekommen. Und Jennifer und die anderen waren mit verschieden hohen Freiheitsstrafen ins Gefängnis gewandert. Jennifers Strafe war die höchste: siebenundzwanzig Jahre.
    Ein Straßenwagen schob sich neben Will. Reporter? Vielleicht doch nicht, in dieser veränderten Welt. Eine alte Frau stieg aus und ging in die andere Richtung. Jennifer sah ihr unbewegt nach. Die alte Frau – ihrem Gesicht nach zu urteilen, mußte sie über achtzig sein – bewegte sich mit locker schwingenden Armen und federnden Schritten voran, so wie alle Menschen jetzt. Seit der Umstellung. Aber die Frau war dennoch unverkennbar alt: verbraucht, nahezu am Ende angekommen.
    Jennifer Sharifi war einhundertvierzehn Jahre alt. Sie sah aus wie fünfunddreißig und würde auch weiterhin aussehen wie fünfunddreißig. Aber siebenundzwanzig Jahre waren verloren. Und ihre Welt.
    Der Aufseher redete immer noch. Jennifer ignorierte ihn. Sie konzentrierte sich auf ihren Zorn: massiv und rotglühend quoll er in ihr hoch wie ein langsamer dicker Lavastrom aus dem Herzen des Planeten. Leidenschaftslos dämmte sie ihn ein, bändigte ihn und gab ihm eine Richtung. Richtungsloser Zorn war etwas Gefährliches; gezielter Zorn war ein unerschöpflicher Kraftquell. Es war ein technisches Problem.
    Nicht ein Muskel ihres schönen Gesichts bewegte sich.
    Als sie bereit war, ging Jennifer weg von dem plappernden Aufseher, weg vom Hochsicherheitsgefängnis Allendale, wo sie siebenundzwanzig Jahre verbracht hatte als Buße für den Hochverrat an einem Staat, der jetzt kaum noch als solcher existierte.
     
    Will küßte sie nicht, umarmte sie nicht. Aber er griff nach ihrer Hand und blieb einen Moment lang reglos so sitzen, ehe er den Wagen startete.
    »Hallo, Will.«
    »Hallo, Jenny.«
    Alles andere wäre überflüssig gewesen.
    Der Wagen hob sich in die Luft. Unten wurde der Aufseher immer kleiner und verschwand; und dann verschwand auch das Gefängnis. Jennifer sagte zum ComLink: »Botschaften?«
    »Keine Botschaften«, antwortete es, was Jennifer nicht überraschte: Das ComLink war nicht abgeschirmt. Alle Nachrichten an sie würden auf Wills ComLink gespeichert sein, dort, wo auch immer er vorübergehend wohnte. Es würden viele Botschaften sein, und noch mehr sollten in den nächsten Tagen eintreffen, wenn Jennifer die Fäden ihres riesigen, verflochtenen Firmennetzes und ihrer Finanzen wieder aufnahm. Aber nicht in den Vereinigten Staaten. Nie wieder in den Vereinigten Staaten. Doch ein Gespräch konnte sie auch über ein nicht abgeschirmtes ComLink erledigen.
    »Verbindung mit Sanctuary, öffentliche Frequenz.«
    »Rufe Sanctuary, öffentliche Frequenz«, sagte das ComLink. Will warf ihr einen kurzen Seitenblick zu.
    Auf Jennifers Bildschirm leuchteten die Zugriffscodes auf und wurden augenblicklich vom Gesicht ihrer Enkelin ersetzt. Also hatte Miranda bereits gewartet, hatte die Stunde und die Minute von Jennifers Entlassung gewußt.
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