Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
Fitzke seinen einzigen Schlafanzug, und ein paar von ihnen riechen komisch. Vielleicht findet Mama es einfach nur toll, dass sie beim Bingo so oft gewinnt. Jedes Mal strahlt sie, wenn sie auf die Bühne geht und zum Beispiel so eine billige Plastikhandtasche abholt - eigentlich sind es fast immer billige Plastikhandtaschen.
    Die Rentner kriegen das selten mit, viele von denen pennen nämlich irgendwann über ihren Bingokärtchen ein oder sind sonst wie nicht richtig bei der Sache. Erst vor ein paar Wochen saß einer von ihnen ganz ruhig am Tisch, bis die letzten Zahlen durch waren. Als die anderen gingen, stand er nicht auf, und als schließlich die Putzfrau ihn zu wecken versuchte, war er tot. Mama hat dann noch überlegt, ob er vielleicht schon den Dienstag zuvor gestorben war. Mir war er auch nicht aufgefallen.
    »Tach, Herr Fitzke«, sagte ich, »ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.«
    Fitzke sieht noch älter aus als der Rentner, den es beim Bingo erwischt hat. Und echt schmuddelig. Angeblich lebt er selber auch nicht mehr lange, deshalb trägt er immer nur seinen Schlafanzug, sogar zum Einkaufen bei Edeka. Falls er mal aus den Latschen kippt, hat er dann immerhin gleich die passenden Klamotten an. Seit er klein war, habe er es schon am Herzen, hat Fitzke mal zu Frau Dahling gesagt, deshalb käme er total schnell aus der Puste und irgendwann dann PENG! Ich finde, auch wenn er bald stirbt, könnte er sich ruhig ordentlich anziehen oder wenigstens ab und zu den Schlafanzug waschen, zum Beispiel an Weihnachten. Ich würde jedenfalls nicht gern zusammengebrochen bei Edeka vor der Käsetheke liegen und total eklig riechen, obwohl ich erst seit einer Minute tot bin.
    Fitzke stierte mich nur an, also hielt ich ihm die Nudel unter die Nase. »Ist das Ihre?«
    »Woher hast du die?«
    »Gehsteig. Frau Dahling meint, es könnte eine Pdgatoni sein. Die Soße ist jedenfalls Gorgonzola.«
    »Lag die da nur so«, fragte er misstrauisch, »oder lag sie in irgendwas drin?«
    »Wer?«
    »Kauf dir mal ein Gehirn! Die Nudel, du Schwachkopf!«
    »Wie war noch mal die Frage?«
    Fitzke verdrehte die Augen. Gleich würde er platzen. »Ob sie da nur so lag auf dem Gehsteig, deine beknackte Nudel, oder in irgendwas drin! Hundekacke, weißt schon.«
    »Nur so«, sagte ich.
    »Dann zeig mal genauer.«
    Er nahm mir die Nudel ab und drehte sie zwischen den Fingern. Dann steckte er sie sich - meine Fundnudel! - in den Mund und schluckte sie runter. Ohne zu kauen.
    Tür zu, WUMMS!
    Der hat sie doch nicht alle! Die nächste Fundnudel, das ist mal klar, werde ich extra in Kacke wälzen und Fitzke bringen, und wenn er dann fragt, lag die irgendwo drin, sage ich, nein, das ist Hackfleischsoße. Mann, Mann, Mann!

    Eigentlich hatte ich das ganze Haus abklappern wollen mit der Nudel, aber nun war sie ja mal weg, verschwunden hinter Fitzkes schlechten Zähnen. Ich trauerte ihr nach. Das ist ja immer so, wenn man was verloren hat: Vorher findet man es gar nicht so dolle, aber hinterher war es auf einmal die beste Nudel der Welt. Frau Dahling ging es ähnlich. Erst hatte sie letzten Winter auf ihren Mann geschimpft, weil er ein verdammter Ehebrecher war, und inzwischen guckt sie sich einen Liebesfilm nach dem anderen an und hätte ihren Mann gern zurück.
    Ich wollte schon von Fitzke runter in den Zweiten laufen, aber dann überlegte ich es mir anders und klingelte erst noch an der Wohnung gegenüber. Da wohnt der Neue, der vor zwei Tagen eingezogen ist. Gesehen hab ich ihn noch nicht. Jetzt hatte ich zwar die Fundnudel nicht mehr, aber es war eine gute Gelegenheit, um Hallo zu sagen. Vielleicht ließ er mich zu sich rein. Ich bin sehr gern in anderen Wohnungen.
    Diese hier stand lange frei, weil sie so teuer war. Mama hat mal überlegt, sie zu mieten, im vierten Stock gibts nämlich mehr Licht als im zweiten und sogar ein Stückchen Aussicht, weil man durch die Bäume über das flache alte Urban-Krankenhaus auf der anderen Straßenseite gucken kann. Aber als Mama erfuhr, was die Wohnung kosten sollte, hat sie es gelassen. Was ein Glück ist, sonst wäre Fitzke unser direkter Nachbar. Dieser Fresssack.
    Der Neue heißt Westbühl, so steht es auf seinem Klingelschild. Er war nicht zu Hause, und ein bisschen war ich jetzt doch erleichtert. Das gibt Stress, wenn ich den mal mit seinem Namen anreden muss. Wegen Westen und Osten und so weiter. Ich bringe nämlich links und rechts immer durcheinander, auch auf dem Kompass. Wenn es um links und rechts geht,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher