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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autoren: Andreas Steinhöfel
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fürs Wochenende. Ich könnte den Krempel selber einkaufen, aber ...«
    »Ich mach das schon.«
    »Bist ein Schatz.« Sie grinste erleichtert, stand auf und kramte eilig in ihrer Hosentasche rum. »Ich hab 'ne Liste gemacht, warte mal ...«
    Mamas Hosen sind immer so eng, dass ich manchmal Angst habe, sie eines Tages rausschneiden zu müssen. Ich frag mich, warum sie trotzdem alles in die Hosentaschen stopft. Sie hat schon mindestens zehn Plastikhandtaschen beim Bingo gewonnen, aber die benutzt sie nie. Sie hebt sie nicht mal auf, sondern versteigert sie bei eBay.
    »Ist nicht viel.« Endlich hielt sie mir den zerknitterten Zettel entgegen. »Geld liegt in der Schublade. Am wichtigsten ist die Zahnpasta. Butter steht noch nicht drauf, die ist jetzt auch alle. Kannst du dir die auch so behalten, oder soll ich —«
    Ich spießte das erste Fischstäbchen auf die Gabel und tunkte es superlässig in die Blutmatsche. »Kann ich mir behalten«, sagte ich.
    Hoffentlich.

IMMER NOCH SAMSTAG
    OSKAR

    Das Einkaufen lief prima. Zahnpasta, Butter, Salzstangen, Salatzeugs und Joghurt. Ich hielt der Kassiererin bei Edeka das Geld hin und sie gab mir den Rest raus und sagte, schönen Gruß an deine Mutter. Sie guckte dabei, als wünschte sie Mama in Wirklichkeit einen qualvollen Tod. Nachdem wir in die Dieffe gezogen sind, ist Mama nämlich mal bei ihr gewesen, um ihr freundlich zu erklären, dass ich nicht rechnen kann und dass sie schon mal einem beide Arme gebrochen hat, der mich betuppen wollte.
    Ich ging aus dem Laden raus. Leichter Wind bewegte die Bäume — ich hab vergessen, wie sie heißen, oder ich hab es nie gewusst, aber sie sehen toll aus. Von ihren Stämmen blättert die Rinde ab wie Lack von einer alten Tür, und darunter kommt hellere Rinde zum Vorschein, die auch wieder abblättert, und so weiter. Man fragt sich, wann so ein Baum nach innen rein mal aufhört.
    Sonnenlicht flitzte über Millionen von Blättern und trieb winzige Schatten über die Gehsteige. Es wimmelte geradezu von Leuten, viele saßen draußen vor den Kneipen und Restaurants, und aus den geöffneten Fenstern in den Häusern plumpste Musik runter auf die Gehsteige. Ich war sehr froh in diesem Moment. Ich fühlte mich sicher.
    In der langen Dieffe gibt es alles, was man braucht. Den Edeka und einen Spätkauf, zwei Gemüsehändler, einen Getränkemarkt, Bäcker, Metzger und so weiter. Man muss nie abbiegen, und genau aus dem Grund hat Mama sich für mich eine so lange, gerade Straße ausgesucht: weil ich mir lange Wege nicht gut behalten kann, schon gar keine mit Ecken drin. Ich hab ein Orientierungsvermögen wie eine besoffene Brieftaube in einem Schneesturm bei Windstärke 12. Aber von der Dieffe aus kann ich sogar allein zum Förderzentrum gehen. Dazu muss ich nur aus dem Haus raus, ein kleines Stück bis zur Mohren-Apotheke an der Ecke gehen und dann nach oben abbiegen, Richtung Landwehrkanal. Ab dann laufe ich immer geradeaus, über die Admiralsbrücke bis hin zur Schule. Hinter der Schule geht's immer noch geradeaus weiter, durch Kleintürkenhausen bis zum Kottie, aber ich hab mich noch nie weitergetraut als bis zum Doyum Grillhaus, kurz vor dem Kottie.
    Ich überlegte, ob ich auf dem Heimweg nach einer neuen Fundnudel suchen sollte. Konnte ja sein, dass sie doch nicht aus einem Fenster der Dieffe 93 geflogen war, sondern dass ein Bürgersteiggeher sie verloren oder absichtlich fallen gelassen hatte.

    Ich schlappte vor mich hin und musste dabei an Hänsel und Gretel denken, die im tiefen dunklen Wald eine Spur aus Brotkrumen gelegt hatten, um sich nicht zu verlaufen. Womöglich hatte jemand eine Nudelspur ausgelegt, um sich nicht im Kiez zu verirren. Falls er das getan hatte, war er noch tiefbegabter als ich. Wenn nämlich hier zufällig solche Allesfresser wie Fitzke unterwegs waren, sah es für einen Nudelspurenleger ziemlich schlecht aus. Hänsel und Gretel war von den Vögeln des Waldes auch ihre Brotspur aufgefuttert worden, und wo waren die beiden am Schluss gelandet? Richtig, beim großen bösen Wolf!
    Am Spielplatz blieb ich stehen. Der Spielplatz ist wie eine Halbinsel von der Grimmstraße eingerahmt, die macht nämlich weiter oben beim Kanal eine Schleife, kommt dann wieder runter und trifft auf die Dieffe, weshalb sie sozusagen doppelt ist. Der Spielplatz ist groß und bei gutem Wetter immer voller Mütter und jeder Menge Dötzeken. In Neukölln. wo wir früher wohnten, ist Mama oft mit mir auf den Spielplatz gegangen. Ich hatte
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