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Winter

Winter

Titel: Winter
Autoren: Hermann Hesse
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/ MORGENSTUNDE IM DEZEMBER /
    Regen schleiert dünn, und träge Flocken
Sind dem grauen Schleier eingewoben,
Hängen sich an Zweig und Drähte oben,
Bleiben unten an den Scheiben hocken,
Schwimmen schmelzend in der kühlen Nässe,
Geben dem Geruch der feuchten Erde
Etwas Dünnes, Nichtiges und Vages,
Und dem Tropfenrieseln die Gebärde
Eines Zögerns, und dem Licht des Tages
Eine kränkelnde, verdrossene Blässe.
    In der morgenblinden Scheiben Zeile
Dämmert da mit rosig warmem Schimmer
Einsam noch ein Fenster nachtbeleuchtet.
Eine Krankenschwester kommt, sie feuchtet
Sich mit Schnee die Augen, eine Weile
Steht und starrt sie, kehrt zurück ins Zimmer.
Es erlischt der Kerzenschein, und grauer
Dehnt sich in den bleichen Tag die Mauer.
/ ALTER MALER IN DER WERKSTATT /
    Vom großen Fenster scheint Dezemberlicht
Auf blaues Leinen, rosigen Damast,
Goldrahmenspiegel mit dem Himmel spricht,
Blaubauchiger Tonkrug hält den Strauß umfaßt
Vielfarbiger Anemonen, gelber Kressen.
Inmitten sitzt, von seinem Spiel besessen,
Der alte Meister, der sein Antlitz malt,
Wie es der Spiegel ihm entgegen strahlt.
Vielleicht hat er für Enkel es begonnen,
Ein Testament, vielleicht der eigenen Jugend Spur
Gesucht im Spiegelglas. Doch das ist längst vergessen,
War eine Laune, war ein Anlaß nur.
Er sieht und malt nicht sich; er wägt besonnen
Das Licht auf Wange, Stirne, Kinn, das Blau
Und Weiß im Bart, er läßt die Wange glühen
Und blumenschöne Farben aus dem Grau
Des Vorhangs und der alten Jacke blühen.
Er wölbt die Schulter, baut den Schädel rund
Ins Übergroße, gibt dem vollen Mund
Ein tief Karmin. Vom edlen Spiel besessen
Malt er, als wären’s Luft, Gebirg und Bäume,
Malt er gleich Anemonen oder Kressen
Sein Bildnis in imaginäre Räume,
    Um nichts besorgt als um das Gleichgewicht
Von Rot und Braun und Gelb, die Harmonie
Im Kräftespiel der Farben, das im Licht
Der Schöpferstunde strahlt, schön wie noch nie.
    // Die Schneeprinzessin erscheint mit kleinem Gefolge,
aus gewaltiger Höhe kommend, und sucht sich einen Rastort in weiten Bergmulden oder auf einer breiten Kuppe aus. Neidisch sieht die falsche Bise die Arglose sich lagern, leckt heimlich gierend am Berg empor und überfällt sie plötzlich wütend und tosend. Sie wirft der schönen Prinzessin zerfetzte schwarze Wolkenlappen entgegen, höhnt sie, krakeelt sie an, möchte sie verjagen. Eine Weile ist die Prinzessin unruhig, wartet, duldet, und manchmal steigt sie kopfschüttelnd, leise und höhnisch wieder in ihre Höhe zurück. Manchmal aber sammelt sie plötzlich ihre geängsteten Freundinnen um sich her, enthüllt ihr blendend fürstliches Angesicht und weist den Kobold mit kühler Hand zurück. Er zaudert, heult, flieht. Und sie lagert sich still, hüllt ihren Sitz weitum in blassen Nebel, und wenn der Nebel sich verzogen hat, liegen Mulden und Kuppen klar und glänzend mit reinem, weichem Neuschnee bedeckt.
    (Aus: »Peter Camenzind«, 1904)
/ ERSTER SCHNEE /
    Alt geworden bist du, grünes Jahr,
Blickst schon welk und trägst schon Schnee im Haar,
Gehst schon müd und hast den Tod im Schritt –
Ich begleite dich, ich sterbe mit.
    Zögernd geht das Herz den bangen Pfad,
Angstvoll schläft im Schnee die Wintersaat.
Wieviel Äste brach mir schon der Wind,
Deren Narben nun mein Panzer sind!
Wieviel bittre Tode starb ich schon!
Neugeburt war jedes Todes Lohn.
    Sei willkommen, Tod, du dunkles Tor!
Jenseits läutet hell des Lebens Chor.
    // Vierzehn Tage später, nachdem es auf nebelkalte Tage
noch sonnige mit späten Glockenblumen und kühlreifen Brombeeren gegeben hatte, brach plötzlich der Winter herein. Es gab strengen Frost und darauf am dritten Tage bei milderer Luft einen schweren, hastigen Schneefall.
    Knulp war diese ganze Zeit unterwegs gewesen, auf zielloser Streife immer im Umkreis der Heimat, und noch zweimal hatte er aus nächster Nähe, im Walde verborgen, denSteinklopfer Schaible gesehen und beobachtet, ohne ihn nochmals anzurufen. Er hatte zu viel zu denken gehabt und war auf allen den langen, mühsamen, nutzlosen Wegen immer tiefer in das Gewirr seines verfehlten Lebens geraten wie in zähe Dornranken, ohne den Sinn und Trost dazu zu finden. Dann war die Krankheit von neuem über ihn gekommen, und wenig fehlte, so wäre er eines Tages trotz allem doch noch in Gerbersau erschienen und hätte am Krankenhaus angeklopft. Aber als er nach tagelangem Alleinsein wieder die Stadt unten liegen sah, da klang ihm alles fremd und feindlich entgegen, und es ward
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