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Rico, Oskar und die Tieferschatten

Rico, Oskar und die Tieferschatten

Titel: Rico, Oskar und die Tieferschatten
Autoren: Andreas Steinhöfel
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er sich mit den Kugeln beschäftigt, aber dann hab ich es gelassen. Wenn er nicht selber drauf kommt, hat er eben Pech gehabt.
    »Warum hat der Wehmeyer dich denn noch mal antanzen lassen?«, sagte Mama. »Ich dachte, gestern war schon der letzte Schultag?«
    »Wegen einem Ferienprojekt. Was schreiben.«
    »Du und schreiben?« Sie runzelte die Stirn. »Was denn?«
    »Nur einen Aufsatz«, murmelte ich. Die Sache war komplizierter, aber ich wollte Mama noch nicht einweihen, bevor ich es erfolgreich ausprobiert hatte.
    »Verstehe.« Ihre Stirn wurde wieder glatt. »Schon was gegessen, ein Döner oder so?« Sie wuschelte mir mit einer Hand durch die Haare, beugte sich vor und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
    »Nee.«
    »Also Hunger?«
    »Klar.«
    »Okay. Ich mach uns Fischstäbchen.« Sie verschwand in der Küche. Ich warf meinen Rucksack durch die offene Tür in mein Zimmer, dann folgte ich ihr, setzte mich an den Esstisch und guckte zu.
    »Ich muss dich mal was fragen, Rico«, sagte Mama, während sie Butter in der Pfanne zerließ.
    Mein Kopf rutschte automatisch zwischen die Schultern. Wenn Mama mich was fragt und dabei meinen Namen benutzt, bedeutet das, dass sie sich vorher Gedanken gemacht hat, und wenn sie sich Gedanken macht, hat das meistens einen ernsten Hintergrund. Mit ernst meine ich schwierig. Mit schwierig meine ich die Bingokugeln.
    »Was denn?«, fragte ich vorsichtig. »Es geht um Mister 2000.«
    Ich wünschte mir, die Fischstäbchen wären schon fertig. Selbst ein Dummkopf konnte ahnen, worauf dieses Gespräch hinauslief Mama öffnete den Kühlschrank und kratzte und hebelte mit einem Messer im Tiefkühlfach rum, wo unter einem Mantel aus blauem Eis die Packung mit den Fischstäbchen festgefroren war. »Er hat wieder ein Kind freigelassen«, fuhr sie fort. »Diesmal eins aus Lichtenberg. Schon das fünfte. Das davor war aus —«
    »Wedding, ich weiß.«
    Und die drei davor aus Kreuzberg, Tempelhof, Charlottenburg. Mister 2000 hält seit drei Monaten ganz Berlin in Atem. Im Fernsehen haben sie gesagt, er sei vermutlich der schlaueste Kindesentfuhrer aller Zeiten. Manche nennen ihn auch den ALDI-Kidnapper, weil seine Entfuhrungen so preisgünstig sind. Er lockt kleine Jungen und Mädchen in sein Auto und fährt mit ihnen davon, und danach schreibt er den Eltern einen Brief: Liebe Eltern } wenn Sie Ihre kleine Lucille-Marie wiederhaben wollen, kostet Sie das nur 2000 Euro. Überlegen Sie sich genau, ob Sie für einen so lächerlichen Betrag die Polizei verständigen wollen. Dann erhalten Sie Ihr Kind nämlich nur nach und nach zurück.
    Bis jetzt haben alle Eltern die Polizei erst verständigt, nachdem sie bezahlt haben und ihr Kind am Stück wieder bei ihnen eingetrudelt ist. Aber ganz Berlin wartet auf den Tag, an dem eine kleine Lucille-Marie oder irgendein Maximilian nicht vollständig zu Hause ankommt, weil die Eltern Mist gebaut haben. Könnte ja sein, manche von denen sind ganz froh, dass ihr Kind entfuhrt worden ist, und rücken deshalb nicht mal einen Cent als Lösegeld raus. Oder sie sind arm und besitzen nur fünfzig Euro oder so. Wenn man Mister 2000 nur fünfzig Euro gibt, bleibt von einem Kind womöglich nur eine Hand übrig. Die spannende Frage ist, was er dann wohl zurückschickt, die Hand oder den Rest. Vermutlich die Hand, das ist unauffälliger. Außerdem würden für ein Riesenpaket mit Restkind drin die 50 Euro bestimmt komplett fürs Porto draufgehen.
    Ich finde jedenfalls, 2000 Euro sind total viel Geld. Aber in der Not, das hat Berts mir mal erklärt, kriegt die Kohle jeder zusammen, wenn er nur will. Berts studiert Beh-Weh-Ell, das hat was mit Geld zu tun, also weiß er wohl Bescheid.
    »Hast du 2000 Euro?«, fragte ich Mama. Man konnte ja nie wissen. Für den Notfall könnte ich ihr erlauben meinen Reichstag zu knacken. Die Münzen wirft man oben in die Glaskuppel ein, die hat einen Schlitz. Den Reichstag habe ich schon, seit ich denken kann, und wenigstens für einen Arm oder so müsste mein Gespartes inzwischen reichen. Für zwanzig oder dreißig Euro hätte Mama dann wenigstens eine kleine Erinnerung an mich.
    »2000 Euro?«, sagte sie. »Seh ich so aus?«
    »Würdest du sie zusammenkriegen?«
    »Für dich? Und wenn ich dafür töten müsste, Schatz.« Es knackte und ein dicker Brocken Eis landete auf dem Küchenboden. Mama hob ihn auf, machte so ein Geräusch wie Puhhh oder Pfffund warf ihn ins Spülbecken. »Das Gefrierfach muss dringend mal abgetaut werden.«
    »Ich
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