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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche
Autoren: Andreas Steinhöfel
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sind, aber das tut natürlich keiner.
    Dänemark sieht auf der Karte aus wie der oberste Zipfel von Deutschland. Es ist sehr flach, aber es ragt trotzdem ins Meer hinein wie B) eine Gebirgslippe. Früher hießen die Dänen Wikinger und die Deutschen hießen Germanen. Sie haben sich ab und zu gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, aber die Dänen konnten besser zielen, und jetzt ist es zu spät und die Deutschen kommen an den obersten Zipfel nicht mehr ran, außer im Urlaub.
    Die Zeit, in der Oskar sich die Wikinger angeguckt hatte, war mir vorgekommen wie eine Ewigkeit. Aber die war jetzt vorbei. Heute würde ich ihn zum ersten Mal zu Hause besuchen und dabei seinen Papa kennenlernen. Den hatte ich bisher bloß im Fernsehen gesehen, in der Abendschau am Tag von Oskars Entführung, und ich muss leider sagen, dass ich ihn da ziemlich doof gefunden hatte. Später erst recht. Es war eine Frechheit, sich meinen einzigen besten Freund zu schnappen und mit ihm nach Dänemark zu fahren, während ich im Krankenhaus auf Leben und Tod mit dieser Gehirnerschütterung rang.
    Eine bodenlose Frechheit!

    Der Wehmeyer drosselte die Geschwindigkeit, brachte das Motorrad zum Stehen und wandte sich zu mir um. »Ansbacher Straße«, dröhnte er durch seinen Helm. »Stimmt die Hausnummer?«
    Ich guckte und nickte. »Klar.«
    Oskar hatte mich am Telefon die Hausnummer dreimal wiederholen lassen, damit ich ihn auch wirklich fand. Die Straße gefiel mir gut. Es gab weniger Bäume als in der Dieffe, aber die Häuser sahen sehr schön aus, jede Menge Altbauten, viele davon mit himmelblauen Fassaden. Nur das Haus mit der Nummer 117 fiel aus dem Rahmen: ein Neubau mit Flachdach, nur drei Stockwerke hoch, jede Menge Satellitenschüsseln auf den eckigen kleinen Balkonen, hässlich graublau angemalt. Solche Kästen stehen in Berlin überall da,wo im Zweiten Weltkrieg die feinen alten Häuser weggeballert wurden. Das kommt nämlich von Kriegen: Es gibt viele Tote und noch viel mehr Menschen, die um sie weinen, Gebäude liegen in Schutt und Asche, und wenn endlich alle Trümmer weggeräumt sind und was Neues aufgebaut ist, sind die Fassaden plötzlich schimmelblau statt himmelblau.  
    Ich stieg vom Motorrad, nahm meinen Helm ab und drückte ihn dem Wehmeyer in die Hand. »Vielen Dank noch mal.«
    Â»Gern geschehen.« Er hängte sich den Helm über den Arm. »Ach, übrigens, Rico, vermutlich hast du dich schon gefragt …«
    Â»Ja?«
    Â»Ich habe dein Tagebuch nicht gelesen. Das heißt, ich hatte zwar damit angefangen, aber … Du beschreibst darin viele private Dinge, weißt du. Und die gehen mich nichts an.« Er grinste breit. »Nicht dass dein Privatleben mich nicht brennend interessieren würde.«
    Ich dachte an die schöne Mappe, die ich extra gekauft hatte. Alle Tagebuchseiten waren ausgedruckt und abgeheftet. Vorne auf der Mappe war Spiderman, weil er der Coolste ist. Er schwang sich an einem seiner Spinnenfäden zwischen zwei Hochhäusern hindurch, wahrscheinlich in die Richtung von seinem Privatleben, das auch keinen was anging.
    Â»Was du und dein kleiner Freund da hingekriegt habt, war beachtlich, Rico. War es wirklich. Aber lasst es nicht zur Gewohnheit werden, ja? Ich will dich als Schüler nicht verlieren.« Das Grinsen vom Wehmeyer wurde dünner. »Verstehst du, was ich damit sagen will?«
    Â»Dass ich aufpassen soll, wenn ich das nächste Mal einem Verbrecher nachlaufe?« Ich dachte an die Plastikhandschellen, die der Bühl mir geschenkt hatte. Mit ein bisschen Übung konnte man einen Verbrecher bestimmt ziemlich schnell überwältigen und damit fesseln.
    Â»Nein.« Der Wehmeyer guckte jetzt ganz ernst. »Dass es zu einem nächsten Mal gar nicht erst kommt. So etwas kann böse in die Hose gehen. Denk an die Menschen, die dich lieb haben, okay?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, tippte er mit dem Finger gegen den Helm, ließ die Maschine an und kurvte los. Ich sah ihm nach. Er hatte vielleicht nicht viel Ahnung davon, was ein guter Bonus für einen Tiefbegabten ist, aber in dem Moment fand ich ihn fast so gut wie Spiderman.
    Als ich mich umdrehte und auf das schimmelblaue Haus zugehen wollte, sah ich den Jungen. Er stand etwa zehn Meter entfernt, hinter einem geparkten Auto, und wedelte heftig mit beiden Armen. Hätte er seinen blauen Sturzhelm getragen, hätte
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