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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche
Autoren: Andreas Steinhöfel
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feierlich überreicht, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war und er mich in der Dieffe besucht hatte. Erst als er wieder abgezischt war, das Tagebuch unterm Arm, war mir eingefallen, dass er nun alles Mögliche über mich wissen würde. Warum und wie ich überhaupt im Krankenhaus gelandet war, wusste zwar längst ganz Berlin: aus dem Fernsehen und aus der Zeitung, wo ich Frederico D. hieß, und von Frau Dahling, die es bei Karstadt am Hermannplatz jedem erzählte, der bei ihr an der Fleischtheke auch nur zehn Gramm Hackepeter einkaufte. Aber ich hatte nicht nur das Abenteuer mit Mister 2000 im Ferientagebuch aufgeschrieben, sondern dazu auch noch Oskars und meine Geschichte, wie wir uns kennenlernten, wie Oskar entführt wurde und so weiter. Außerdem steht viel drin über den Bühl, weil ich den gern als Papa hätte, vor allem, seit ich weiß, dass er Polizist ist – man fühlt sich da gleich viel sicherer –, und über Frau Dahling, die ab und zu vom grauen Gefühl überfallen wird, weil sie so einsam ist, und es steht drin, dass ich in Jule verknallt bin, die am Wochenende mit ihrem blöden Massoud aus dem Urlaub wiederkommt.
    Also, verräterischer geht’s ja wohl nicht.
    Der Wehmeyer musste das alles inzwischen gelesen haben, aber bis jetzt hatte er noch keinen Pieps dazu gesagt. Wer weiß,was der jetzt von mir dachte. Schön peinlich. Ich zog unbehaglich die Schultern ein Stück hoch, schwitzte weiter und guckte stur geradeaus. Vielleicht, überlegte ich, sollte ich doch besser in so einem Hamsterfeld verschwinden. Oder einfach weglaufen in Richtung …
    Â»Wohin führt die Straße?«, fragte ich.
    Â»Nach Süden«, sagte der Wehmeyer. Und dann, weil er sich wohl daran erinnerte, dass ich es mit den Himmelsrichtungen nicht so habe, fügte er hinzu: »Wenn du dir einen Globus vorstellst, ist Süden ganz unten. Sozusagen abwärts.«
    Ich guckte auf die Straße und fand, das war sozusagen Quatsch. Denn irgendwann kommt man am Südpol an, und das war’s dann ja wohl mit abwärts. Dann geht es nach allen Seiten bloß wieder bergauf, nur nicht mehr nach Süden, weil für den ja kein Platz mehr da ist. Aber daran hatte der Erfinder der Himmelsrichtungen natürlich nicht gedacht, und ich hatte jetzt den Stress.
    Der Wehmeyer sah aus, als hätte er überhaupt keinen Stress. Er lächelte und sagte leise: »Wirklich schön hier, hm?«
    Ich nickte. Schön schrecklich. Ich wollte nur von hier weg, egal in welche Richtung.
    Â»Diese Ruhe, so weit fort von der Stadt. Sommer. Luft, die man gern riechen mag. Eine ganz andere Welt. Der Wind streicht über die Felder wie eine große, beschützende Hand. Beinahe ergreifend, irgendwie.«
    Ich hörte ihn seufzen, und plötzlich landete seine große Hand auf meinem Kopf. Sie war leicht wie ein Schmetterling. Ich linste vorsichtig zum Wehmeyer rauf. Sein begeisterter Blick fing alles auf einmal ein, Gottes Salatschüssel, die Straße und die raschelnden Hamsterfelder. Mit ein bisschen Pech fing er gleich an zu heulen vor lauter Ergreifung und ich würde ihn trösten müssen. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Ich bin kein guter Tröster. Sobald ich anfange jemanden zu trösten, heule ich mit.
    Als hätte der Wehmeyer gemerkt, was ihm bevorstand, seufzte er nur noch mal tief und ließ mich los. »Du bist wohl eher der rationale Typ, was?«
    Â»Was ist ein rationaler Typ?«
    Â»Einer, der nicht gern seine Gefühle zeigt.«
    Ich wollte sofort protestieren, aber da grinste er schon, um zu zeigen, dass er es nicht ernst meinte. Das war auch besser so. Jule hat nämlich mal gemeint, ich wäre ein sehr romantischer Junge. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass ich die meiste Romantik für sie habe, aber ich hatte mich nicht getraut.
    Â»Fahren wir zurück, hm?« Der Wehmeyer nickte in Richtung seiner BMW. »Sonst kommst du zu spät zu deiner Verabredung.«
    Na endlich!
    Als ich mir den Motorradhelm überstülpte, fragte ich mich, wie Oskar sich wohl unter seinem Helm fühlt. Er hat ja diese großen Ängste, weil er zu viele Sachen von der Welt weiß, die schiefgehen können. Ich schätze, das Visier vom Helm macht einfach den Ausschnitt kleiner, den er von ihr sieht. Kleiner und ungefährlicher.
    Ich kletterte auf das Motorrad und guckte ein letztes Mal auf das rot
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