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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche
Autoren: Andreas Steinhöfel
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es A) ein Wasserrachen oder B) eine Gebirgslippe oder C) eine Flussmündung oder D) eine Landzunge.
    Ich sah Mama lauernd an. »Die bezahlen einem was dafür, wenn man in einer Talkshow auftritt.«
    Â»Erzähl mir was Neues«, sagte Mama. »Den ganzen Tag dudelt das Telefon. Der Briefkasten ist verstopft. Überall lauern einem irgendwelche Reporter auf.«
    Â»Aber das Geld –«
    Â»Wir haben ausreichend Geld, vielen Dank.«
    Das stimmte. Onkel Christian hatte uns sein Haus und sein Auto und dergleichen hinterlassen. Mama wollte alles verkaufen, dann konnten wir mehr Miete zahlen und aus dem Zweiten rauf ins schicke Dachgeschoss ziehen, mit viel Licht und Sonne und Blick über Berlin und anderen Schönigkeiten. Aber das hieß ja wohl nicht, dass man nicht zusätzliches Taschengeld gut gebrauchen könnte.
    Â»Vielleicht«, sagte ich vorsichtig, »würden die Reporter dich ja in Ruhe lassen, wenn ich erst mal im Fernsehen war.«
    Mama schüttelte aufgebracht den Kopf. »Zum letzten Mal, Frederico, das kommt nicht in die Tüte! Diese Fernsehtypen drehen dich vor den Augen der ganzen Nation durch den Fleischwolf –«
    Â»Aber –«
    Â»Und es geht jedem einzelnen von ihnen am Arsch vorbei, wie du dich dabei fühlst!«
    Mein Mund klappte auf. Ich starrte Mama erschreckt an. Sie hatte ein A-Wort gesagt. Eigentlich hatte sie es sogar gebrüllt.
    Â»Tut mir leid, Schatz.« Sie fuhr sich mit einer Hand über die Augen. »Ich wollte dich nicht anschreien. Es ist nur …«
    Ich wartete, aber es kam nichts mehr. Mama schaute zum Fenster, mit einem Ziemlichweitwegblick, und biss sich auf die Lippen. Eigentlich wollte ich sauer sein. Ich fand, man konnte ruhig ein bisschen Fleischwolf aushalten, wenn man danach genug Geld hatte, um bis an sein Lebensende jeden Tag Köttelböller und Schwedenwaffeln von IKEA in einer Dachwohnung im Fünften zu essen. Aber ich sagte nichts. Mama sah einfach zu traurig aus. Wäre der Bühl jetzt hier gewesen, hätte er sie in den Arm nehmen und sie ganz festhalten oder zum Trost ein bisschen mit ihr rumknutschen können. Aber nein, den wollte Mama ja nicht, obwohl der Bühl voll verknallt in sie war und obwohl Mama ihn für eine total scharfe Schnitte hielt. Hatte sie selber gesagt.
    Â»Mama?«, sagte ich vorsichtig. »Ist es vielleicht doch wegen Onkel Christian?«
    Ihr Ziemlichweitwegblick erlosch. Sie sah mich an, nahm meine Hand und kriegte mit Mühe ein Lächeln hin. Es war so wackelig wie eine Holzleiter, bei der schon ein paar Sprossen fehlten. »Mit Onkel Christian hat das nichts zu tun. Ich bin nur etwas übermüdet, sonst nichts. Es ist alles in Ordnung, Rico.« Sie guckte wieder zum Fenster, ohne mich loszulassen, und ihre Stimme wurde genauso fest wie ihr Händedruck. »Und es wird auch alles in Ordnung bleiben.«
    Ich runzelte die Stirn. Was sollte das denn bedeuten?
    Aber bevor diese Frage beantwortet werden kann, wabert auf einmal das Bild, die schrummelige Musik erklingt, und der Zuschauer sieht mich wieder auf dem Motorrad sitzen. Der Wehmeyer biegt tausendmal mit mir ab, in mindestens zehn verschiedene Himmelsrichtungen gleichzeitig. Einmal muss die BMW dermaßen steil einem vor ihr bremsenden Wagen ausweichen, dass meine Knie fast über den Asphalt schrammen. Doch all das macht mir nichts aus. Ein Straßenschild huscht vorbei: Schöneberg. Wenig später legt das Motorrad sich elegant in eine letzte Kurve und biegt in eine hübsche Straße ein. Ich beginne zu lächeln. In wenigen Minuten werde ich endlich meinen schlauen Freund Oskar wiedersehen – und unser letztes Treffen liegt schon über zwei Wochen zurück.
    Jetzt sollte eigentlich das Bild wieder wabern und Schrummelmusik erklingen, aber dann käme ich mit den Rückblenden durcheinander. Die nächste müsste nämlich eigentlich vor derjenigen mit Mama und dem Fleischwolf stattfinden, weil sie noch länger her ist. Deshalb erzähle ich den Rest lieber so: Als ich im Krankenhaus lag, hatte Oskar mich nur ein einziges Mal besuchen können. Anschließend, noch am selben Tag, war sein Vater mit ihm zu einer Bekannten nach Dänemark gefahren, zur Erholung von den Strapazen der Entführung.
    STRAPAZE : Wenn etwas sehr anstrengend ist. Man könnte also genauso gut Sehranstrengung dazu sagen, weil Fremdwörter für Tiefbegabte eine Strapaze
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