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Die Zuckerbäckerin

Die Zuckerbäckerin

Titel: Die Zuckerbäckerin
Autoren: Petra Durst-Benning
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D ie Anhöhe auf dem Rotenberg bei Stuttgart war mit Menschen übersät. Nicht nur aus der Stadt waren sie gekommen, sondern aus dem ganzen Land, um ihre Königin ein letztes Mal zu besuchen. Mehr als ein Jahr war seit ihrem Tod nun schon vergangen, aber noch immer standen Sorge, untröstliche Trauer und Hilflosigkeit in den Gesichtern der Menschen geschrieben. Wie schwer war Gottes Gerechtigkeit zu verstehen! Jahrzehnte hatten sie unter der harten, freudlosen Regentschaft König Friedrichs leiden müssen, bis endlich die Nachricht von seinem Ableben bekannt geworden war. Mit Stöcken bewaffnet waren die Gendarmen damals durchs Land patrouilliert, um Bürger und Bauern von Freudesbekundungen abzuhalten. Erst als sein Sohn Wilhelm und dessen junge Frau, die russische Großfürstin Katharina, den Thron bestiegen, wurden Jubel und Freude offiziell erlaubt. Zuerst mochte es keiner glauben, aber es schienen tatsächlich neue, bessere Zeiten angebrochen zu sein. Die junge Königin war nicht nur schön und klug, sondern hatte ein Herz so weit wie ihre russische Heimat.
    Warum nur hatte sie so früh sterben müssen? Immer wieder war es die gleiche Frage, die die Menschen beschäftigte. In der Hoffnung auf eine Antwort – auf irgendeinen Trost – waren sie in den vergangenen Monaten wieder und wieder zu ihrer Ruhestätte in der Stuttgarter Stiftskirche gepilgert.Nun, da die auf König Wilhelms Wunsch erbaute Kapelle auf dem Rotenberg fertiggestellt worden war, kamen die Menschen hierher, um Katharinas letzte Ruhestätte zu besuchen. Hier droben, so hieß es, nahe der alten Wirtenburg, weit über der Stadt, hatte die Königin sich besonders wohl gefühlt. Als letzten Beweis seiner Liebe hatte Wilhelm die Stammburg der Württemberger in Grund und Boden schleifen lassen, um Platz zu schaffen für Katharinas letzte irdische Heimat.
    Kaum einer der trauernden Menschen nahm Kenntnis von der zusammengekauerten Frau, die, wie so viele von ihnen, ein unförmiges Bündel Gepäck neben sich hatte. Wie zu Eis erstarrt saß Eleonore da, die Knie nahe an den Kopf gezogen, den Rücken gegen den glatten Stamm einer Buche gelehnt. Den ganzen Tag über liefen Menschen an ihr vorbei in Richtung Grabkapelle, während unten in der Stadt die Kirchenglocken läuteten. Doch ihr war, als wäre sie am Boden angewachsen und ihre Beine gelähmt. Mehr als einmal machte sie den Versuch, sich den anderen anzuschließen, aber sie kam nicht hoch, blieb mit ihren Erinnerungen unter der Buche sitzen.
    Nicht einmal drei ganze Jahre war Katharina Königin von Württemberg gewesen. Doch was sie in dieser Zeit erschaffen hatte, war mehr, als die meisten Menschen in einem langen Leben erreichten. Eleonore schauderte es. Sie wußte, daß ihr Frösteln nicht von der ungewohnten Kühle des Junitages herrührte, sondern tief aus ihrem Herzen kam. Mit Katharina war das Licht verschwunden, die Warme und Güte. Mochte der König dem Land hundertmal zusichern, er werde alle Anstrengungen Katharinas in ihrem Sinne weiterführen – es würde doch nie mehr das gleiche sein! Er wußte das, und die Menschen wußten es auch.
    Es war später Nachmittag und wurde schon dunkel, als Eleonore sich endlich aus ihrer kauernden Haltung erhob.Allmählich war es um sie herum stiller geworden, nur noch wenige Menschen harrten auf dem Rotenberg aus, unfähig, Katharina für immer gehenzulassen. Mit unsicheren Schritten ging Eleonore auf den runden, kuppelförmigen Bau zu, in dem der Sarkophag mit der Königin aufgebahrt worden war. Der Geruch von Weihrauch und Myrrhe kratzte unangenehm in ihrer Nase, und trotzdem wurde es Eleonore beim Betreten der Grabkapelle leichter ums Herz: Die Schlichtheit des Baus, die schmucklosen Wände, die von keinerlei Reliefarbeiten geziert wurden, hätten Katharina gefallen. Auch, daß ihr Grab nicht mit Blumen, sondern mit einem Kranz aus Früchten bedeckt worden war. Daneben lag ein dicker, cremefarbener Bogen Papier, vollgeschrieben mit ebenmäßigen Schriftzügen. Um den Augenblick des Abschieds so lange wie möglich hinauszuzögern, las Eleonore Zeile für Zeile des Gedichtes, immer wieder.
    Nimm hin, Verklärte, die du früh entschwunden,
nicht Gold noch Kleinod ist dazu verwendet,
auch nicht aus Blumen ist der Kranz gebunden,
in rauher Zeit hast du die Bahn vollendet,
aus Feldesfrüchten hab’
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