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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche
Autoren: Andreas Steinhöfel
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und Tomaten blieben aber drin.
    Und damit alle möglichen anderen Sachen auch drinbleiben, führe ich jetzt weiter Tagebuch. In einem Tagebuch kann man nämlich zur Not nachlesen, was man vor ein paar Tagen gemacht hat, und wenn man Glück hat, steht sogar drin, warum man es gemacht hat. Zum Beispiel hatte ich nach dem Einkaufen die vielen Minitomaten zu Hause nicht in den Kühlschrank gepackt, sondern sie auf der Küchenfensterbank der Größe nach aufgereiht. Mama wollte wissen, warum, weil die Tomaten, als sie gestern früh aus dem Club nach Hause kam, total verschrumpelt waren. Ich wusste es leider nicht mehr.
    Wir kochten dann schließlich Nudelsoße daraus und die Soße schmeckte völlig unverschrumpelt. Trotzdem beschloss ich gestern Abend im Bett, als ich darüber nachdachte, ab jetzt weiter Tagebuch zu führen. Dem Wehmeyer werde ich das allerdings nicht verraten. Sonst gibt es womöglich irgendwann noch einen Bonus, und der Motorradausflug ist schon mehr als genug gewesen.
    Das Ende der Welt funktioniert mit mir einfach nicht.

 
    Â 
    Auf der Rückfahrt in die Stadt fühlte ich mich sofort wieder besser. Es war, als wäre etwas Blau vom Himmel mit ein paar Strahlen Sonne dabei in mich reingeschlüpft. Unter mir dröhnte das Motorrad, es kribbelte mich durch den Bauch bis in die Haarspitzen. Der Fahrtwind fegte kühl unter mein Hemd und brachte es zum Flattern, und die abgegriffene schwarze Lederjacke vom Wehmeyer strömte einen Geruch aus, als könnte einem nie wieder was Schlimmes auf der Welt passieren. Am liebsten hätte ich die Arme hochgerissen und gejuchzt, aber ich wollte nicht von der Maschine segeln. Ich bin ja nicht völlig plemplem.
    Ich konnte kaum so schnell gucken, wie rundum alles sich veränderte und Berlin immer mehr Berlin wurde. Die Wiesen, Bäume und Hecken am Straßenrand wurden abgelöst durch einzelne Häuser mit großen Vorgärten. Dann wurden die Vorgärten kleiner und die Häuser wurden höher und drängten dichter gegeneinander, und auf einmal war alles nur noch ein Sausen und Brausen, aus der einen Straße, auf der wir fuhren, wurden viele, Autos dröhnten und hupten und schossen über Kreuzungen, auf den Radwegen surrten die Reifen schneller Flitzer und Menschen wuselten auf den Gehsteigen.
    Als wir an einer roten Ampel hielten, fiel mir ein dicker Mann mit Hosenträgern auf, der seinen Jack Russell ausführte. Der kleine Hund hockte genau vor einem Ladengeschäft von Douglas und kackte eine Tretmine auf den Gehsteig. Wahrscheinlich ging ihm das Gedufte auf die Nerven, das durch die geöffnete Tür auf die Straße wehte. Es wehtdauernd irgendwas aus Douglas raus, es ist eine Mischung von allen Wohlgerüchen dieser Welt, hat Irina mal gesagt. Die Wohlgerüche sind klebrig und machen einen ganz benebelt, aber Irina meint, genau darum ging’s ja und dass sie und Mama ohne Benebelung viel weniger Geld verdienen würden. Manchmal, wenn die beiden neue Parfüms einkaufen, damit sie im Club gut und teuer riechen, muss ich mit ihnen zu Douglas rein. Ich hab schon mal geguckt, ob dort benebelte oder ohnmächtige Kinder rumliegen, aber vermutlich verstecken sie die in den Schubladen unter den Regalen mit den Haarshampoos.
    Ich drückte mich wieder gegen die Lederjacke vom Wehmeyer, schnupperte an der Sicherheit und wünschte mir, so einen Geruch gäbe es bei Douglas zu kaufen. Die Ampel schaltete auf Grün und wir brausten weiter. Ich hob eine Hand und winkte dem Jack Russell zu, dann hielt ich mich schnell wieder fest. Jack Russells sind die coolsten Hunde auf der Welt. Ich hätte auch gern einen, aber Mama sagt, es sei Tierquälerei, in einer Großstadt einen Hund zu halten. Ich würde sie gern fragen, warum sie sich so hat, mit Kindern ist es schließlich auch erlaubt. Aber Mama irgendwas zu fragen ist in letzter Zeit schwierig. Es geht ihr überhaupt nicht gut, und ich weiß nicht, warum. Sie ist schon seit Wochen wie ein schönes Lied, von dem man die Melodie vergessen hat.

    Wenn aus meinem Tagebuch ein Spielfilm gemacht würde, käme jetzt eine Rückblende. Rückblenden gibt es zum Beispiel in einem Krimi, wenn jemand auf rätselhafte Weise umgebracht wurde. Der Mörder ist gerade geschnappt worden und erzählt, wie es gewesen ist mit dem Abgemurkse. Das sieht man dann in der Rückblende und denkt: Ah, so hat er das also hingekriegt,
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