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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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1.
    A cht Jahre lang hatte ich von Feuer geträumt. Bäume loderten auf, wenn ich an ihnen vorbeiging, und Ozeane brannten lichterloh. Im Schlaf sickerte der süßliche Rauch in mein Haar ein. Beim Aufwachen lag der Duft dann wie eine Wolke auf meinem Kopfkissen. Dennoch schreckte ich hoch, als meine Matratze Feuer fing. Der scharfe Geruch nach Chemikalien hatte nichts mit dem dunstigen Sirup meiner Träume gemeinsam, vielmehr unterschied er sich davon wie Jasmin aus Indien von dem aus Carolina – wie
Trennung
von
Nähe
. Unmöglich, sie miteinander zu verwechseln.
    In der Mitte des Zimmers stehend, erkannte ich rasch, woher das Feuer kam. Einige Streichhölzer lagen, ordentlich in Reih und Glied, am Fußende meines Bettes. Als ein Streichholz nach dem anderen in Flammen aufging, verwandelte sich die Kette in einen glühenden Lattenzaun entlang des gepaspelten Matratzenrandes. Während ich ihm beim Brennen zusah, empfand ich eine Todesangst, die nicht von der Größe der flackernden Flammen herrühren konnte. Einen lähmenden Augenblick lang war ich wieder zehn Jahre alt und so verzweifelt und hoffnungsfroh, wie ich es noch nie zuvor gewesen war und auch nie wieder sein würde.
    Allerdings flammte die nackte Matratze aus synthetischem Material nicht auf wie die Disteln in jenem späten Oktober. Sie schwelte nur vor sich hin, und schließlich ging das Feuer aus.
    Es war mein achtzehnter Geburtstag.
     
    Die Mädchen hatten sich im Wohnzimmer nebeneinander auf dem durchgesessenen Sofa niedergelassen. Ihre Blicke glitten über meinen Körper und blieben an meinen nackten, unversehrten Füßen hängen. Eine wirkte erleichtert, eine andere enttäuscht. Wenn ich noch eine Woche geblieben wäre, hätte ich mir wohl jedes Mienenspiel gut eingeprägt und mich mit rostigen Nägeln in Schuhsohlen und Kieselsteinchen in Chiliportionen gerächt. Einmal hatte ich einer schlafenden Zimmergenossin das Ende eines glühenden Drahtkleiderbügels an die Schulter gehalten, und zwar wegen eines weitaus geringfügigeren Vergehens als Brandstiftung.
    Doch ich würde in einer Stunde fort sein. Das wussten die Mädchen. Jedes von ihnen.
    Ein Mädchen, das in der Mitte der Couch gesessen hatte, erhob sich. Sie sah jung aus – fünfzehn, höchstens sechzehn – und war in einer Weise hübsch, wie ich es nur selten gesehen hatte: gute Haltung, reine Haut, neue Kleider. Ich erkannte sie nicht sofort, aber die Art, wie sie sich, mit angezogenen Armen und energisch, durch das Zimmer bewegte, kam mir vertraut vor. Obwohl sie gerade erst eingezogen war, war sie keine Fremde für mich; mir fiel ein, dass ich schon einmal mit ihr zusammengewohnt hatte, in den Jahren nach Elizabeth, als ich besonders zornig und aggressiv gewesen war.
    Wenige Zentimenter vor mir blieb sie stehen, ihr Kinn ragte in den Raum zwischen uns.
    »Das Feuer war von uns allen«, sagte sie ruhig. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
    Hinter ihr wand sich die Mädchenreihe auf dem Sofa. Eine Kapuze wurde aufgesetzt, eine Decke fester um die Schultern gezogen. Die Morgensonne beschien geschlossene Augenlider, und die Mädchen sahen plötzlich jung und wie Gefangene aus. Aus einer betreuten Wohngemeinschaft wie dieser entkam man nur durch Weglaufen, Volljährigwerden oder indem man in einer Anstalt landete. Jugendliche über vierzehn wurden nicht mehr zur Adoption vermittelt und kehrten in den seltensten Fällen, wenn überhaupt, nach Hause zurück. Diese Mädchen kannten ihre Zukunftsaussichten. In ihren Augen stand nichts als Angst: vor mir, vor ihren Hausgenossinnen und vor dem Leben, das sie sich selbst eingebrockt hatten oder in das sie hineingeboren worden waren. Zu meiner Überraschung überkam mich plötzlich Mitleid mit ihnen. Ich konnte gehen, sie aber waren gezwungen zu bleiben.
    Als ich mich an dem Mädchen vorbei zur Tür vordrängen wollte, machte sie einen Schritt zur Seite und versperrte mir den Weg.
    »Mach Platz«, befahl ich.
    Eine junge Frau, die Nachtschicht hatte, steckte den Kopf aus der Küchentür. Sie war wahrscheinlich noch keine zwanzig und fürchtete sich mehr vor mir als die Mädchen im Zimmer.
    »Bitte«, meinte sie mit flehender Stimme. »Es ist ihr letzter Vormittag. Lass sie einfach in Ruhe.«
    Ich wartete, auf alles gefasst, während das Mädchen vor mir den Bauch einzog und die Fäuste fest ballte. Nach einem kurzen Moment schüttelte sie den Kopf und wandte sich ab. Ich ging um sie herum.
    Ich hatte noch eine Stunde, bis Meredith mich
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