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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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Lebens aus, und er schläft ein. So wird er niemals erfahren, dass er meine Liebe ist.
    Albert schwimmt mit kräftigen Stößen tief und tiefer. Er ist voller Verwunderung, wie gut er mit der Tiefe des Meeres zurechtkommt. Von Ferne erkennt er die beiden Mädchen, halbe Kinder noch, sie schwimmen mit kurzen, festen Bewegungen, die ihn an Fische erinnern. Sie sind nackt, so wie er sie damals am Bergsee gesehen hat: schlank, mit kleinen dunklen Flecken unter den Armen und am Bauch. Schon ist er bei ihnen, er könnte sie anfassen. Aber die beiden sehen ihn offensichtlich nicht, sie sind ganz mit sich selbst beschäftigt. Jetzt fassen sie sich an den Händen und lächeln sich zu. Plötzlich verschwinden sie aus seinem Blickfeld, nur noch kurz sieht er ihre klein und kleiner werdenden hellen Körper tief unter sich in dem Dunkel der Nacht.
    Das Licht verfinstert sich. Er sieht dicht über sich die mächtigen Schwingen, die mit langsamen Bewegungen weit um sich greifen, wie von einem ungeahnten Fabelwesen. Warum erinnert er sich nicht? Er kennt doch dieses Ungetüm, das in seiner ganzen Körperlänge ihn missachtend, bedächtig sich seinen Weg bahnt. Wer ist diese majestätische Erschein ung?
    Dann, plötzlich, sind die Mädchen wieder an seiner Seite, ihre Haut glänzend wie Fischschuppen in den vibrierenden Sonnenstrahlen. Sie kommen ganz dicht an seine Seite. Ihre Gesichter scheinen ihn auszulachen. Glorie zeigt mit ihrem Finger auf ihn. Jetzt erst entdeckt er ihren Körper: Ihre üppigen Brüste streifen ihn. So hat er sie nie gesehen! Oder doch? Wann war das? Aber dann steht eine andere Frau vor ihm, aufrecht oder schwebt sie? Oder steht sie auf einem Fels? Es ist nicht Ann, auch nicht Lena. Nein, er kennt diese Frau nicht. Merkwürdig, sie trägt ein dunkles Kleid, das sich weit aufbläht. Er wundert sich über ihre kleinen nackten Füße, die wie die eines Kindes aussehen. Oder ist sie doch Ann? Nein, Lena! Eine andere?
    Höchste Zeit für ihn aufzutauchen, er droht zu ersticken. Mit einem befreienden Schrei erreicht Albert die Wasseroberfläche und findet sich zitternd in Lenas Armen wieder, die ihm besänftigend über die Stirn streicht. Er murmelt: »Es war ein Manta! Ein Manta . . . Ich habe ihn gesehen!«
    Auf dem Frühstückstisch liegt Anns Brief. Albert fragt nicht, wie er dahin gelangt ist, er schlürft ruhig seinen Tee und isst sein Honigbrot. Danach öffnet er das Kuvert, zieht das Papier glatt und setzt seine Brille auf. Lena sitzt ihm gegenüber. Er liest, wohl weil es kein Geheimnis zwischen ihnen geben kann, laut und mit klarer Stimme:
    »Ich habe Unrecht getan, ich habe Dir Unrecht getan. Eigentlich fing alles gut an. Ich war unter Vaters Wohlwollen in Dich verliebt über alle Ohren. Aber das verging, als die Enge unseres gemeinsamen Heims uns umfing. Dann, anstatt Dich zu verstehen, bin ich dem Bild nachgelaufen, das ich mir als junge Frau schon von dem Mann meines Lebens gemacht hatte. Darüber habe ich begonnen, Dich zu vernachlässigen. Nicht Deinen Körper, aber, was viel wichtiger ist, Dein Herz und am Schluss Deine Seele. Habe ich Dich darüber verloren? Und warum hast Du mich nicht aufgehalten? Mich gestellt! In die Schranken gewiesen! Den Vorwurf kann ich Dir nicht ersparen.
    Gelegentlich muss eine Frau wissen, wo es hingeht. Du warst zu zart, zu verständig, den Vorwurf muss ich Dir machen. Du hättest mich fest an beiden Armen packen und mich ordentlich durchschütteln sollen. Vielleicht hätte es geholfen.
    Als Mary in meinen Armen starb, habe ich durch ihre erlöschenden Augen geschaut und verstanden: Wie kurz, wie endlich doch unser Leben ist! Ich habe durch ihre Augen auch Glorie, unser geliebtes, armes Kind gesehen und erkannt, dass ich auch ihr durch meinen unsäglichen Stolz Unrecht getan habe. Ich habe mit Mary in ihren letzten Tagen viel über unseren Vater gesprochen, der unser Leben so sehr bestimmte. Sie hat sich zwar früh von ihm gelöst, aber der Preis war hoch. Und wir Schwestern wurden Feinde. In meinen Augen war sie bisher immer die Verräterin gewesen, die Böse, ich die liebe Dankbare. Jetzt waren wir in Frieden vereint und ich habe mich mit ihrer Hilfe, mit ihrer erlöschenden Kraft von diesem Vater gelöst. Spät, sehr spät, ich weiß. Wie schrecklich das doch ist! Welche Umwege musste ich gehen. Ich habe Dein Verständnis mit Unverständnis vergolten.
    Ja, ich habe meinen Frieden gefunden, nicht nur mit ihr, auch mit Glorie und mit Dir, die ich Euch bitte, mir zu
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