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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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die Türen zu ihren Schlafzimmern weit offen. Vor dem Einschlafen hört sie seine vertraute Stimme:
    »Gute Nacht, geliebte Lena! Schlaf wohl!« Seine Stimme ist hell und klar. Hat er nicht gesagt: geliebte Lena? Ja, sie hat es deutlich gehört, sie braucht nicht zu zweifeln. In wenigen Augenblicken hat sie der Schlaf umfangen.
    Er liegt wach, mitten in der Nacht. Es ist die Stunde, in der er zu oft von Angst und Furcht überfallen worden war. Er vernimmt ihren ruhigen Atem: Kann ein Glücksgefühl größer sein, denkt er. Nur ein Atemzug. Dann hält es ihn nicht mehr in seinem Bett, er stolpert die wenigen Schritte in der Dunkelheit hinüber zu ihr. Erst als er neben ihr liegt und seine Hand nach ihr ausstreckt, merkt er, wie sehr seine Arme zittern. Er flüstert ihr zu:
    »Es ist die Freude!«
    Lena zieht ihn näher zu sich:
    »Du bist kalt. Aber ich habe genug Wärme für Dich.«
    Er lacht leise auf:
    »Du bist eine Verführerin! Bei den Kindern ist das Delikt klar. Aber bei den Greisen? Wie ist es da?«
    »Wer liebt, erhält immer mildernde Umstände.«
    Sie liegen lange nebeneinander. Seine Arme haben längst Ruhe gefunden:
    »Willst Du mir nicht Deine Geschichte zu Ende erzählen? Ich höre Dir so gerne zu, Lena.«
    Jetzt ist es sie, die auflacht:
    »Damit Du wieder einschlafen kannst! Nein, nicht noch einmal! Ich habe Dir alles erzählt, mein Lieber. Und Du?
    Ich fühle, Du trägst noch etwas mit Dir.«
    »Dann weißt Du mehr, als ich. Aber vielleicht hast Du recht. Warum musst Du immer recht haben? Ja, es gibt eine Sache . . .«
    »Gut. Ich höre Dir zu . . .«
    »Nein, ich schäme mich.«
    »Sicher. Und glaubst Du, ich hätte mich nicht geschämt, bevor ich in Deinen Armen lag?«
    »Ich gar nicht.«
    »Aber da ist doch noch , sagst Du . . .«
    Albert richtet sich auf:
    »Ich habe es eigentlich verdrängt. Und es liegt lange zurück. Mitten in der finstersten Nacht wachte ich auf und schlich hinüber ins Bad, das ich mit Ann teile. Auf dem Weg zurück in mein Schlafzimmer, das erst damals für mich, um Ann in der Nacht nicht länger zu stören, hergerichtet worden war, sah ich vom oberen Stockwerk durch das Treppenhaus einen Lichtstrahl. Konnte Glorie, das Kind, etwa keine Ruhe finden? War etwas geschehen? Auf dem Weg nach oben, besorgt, die Holzdielen nicht allzu sehr unter meinen Schritten knarren zu lassen, dachte ich: Sie ist kein Kind mehr. Sie ist ein großes Mädchen.
    Ich folgte dem Lichtstrahl. Die Tür zu ihrem Badezimmer war angelehnt, ich lugte behutsam nach innen, in der Sorge, sie mitten in der Nacht, wo sie sich allein glaubte, nicht jählings zu erschrecken. In der Tat stand da kein Kind unter der Dusche, nein, das matte Licht fiel von hinten auf einen Frauenkörper, fremd, schön, voller Sinnlichkeit. Langsam drehte sie sich mir zu, die Augen geschlossen, die nassen Haare in Strähnen über dem Gesicht bis zu den Schultern. Von der Hitze des Wassers war das Glas beschlagen, das uns trennte. Aber ich sah genug, sah die junge Frau, über die das Wasser fiel, den Schaum, der ihren Körper bedeckte, mit hinab schwemmte. Mein Atem stockte: Die Frau mit ihren vollen Brüsten, den Hüften, der Scham unter der lichten Wölbung ihres Bauches, den runden Schenkeln, sollte das meine Tochter sein? War sie es wirklich, diese Frau, die ich so nie gesehen, nicht einmal so erahnt hätte, und die mich – wie ich hier stand – in Sekundenschnelle vom liebenden, sorgenden Vater in einen hungrigen, gierigen Wolf verwandelte? Nein, nein, das war nicht Glorie, mein Kind! Das war ein nächtliches Trugbild, eine Hexerei, eine bösartige Verführung, die mir Arglosem, mir Unschuldigem zuteil wurde.
    Der Wasserstrahl verebbte, einzelne Tropfen rannen noch über ihren Körper. Mit der Hand streifte sie die perlenden Tropfen ab, die auf ihrer Haut, ihren Brüsten und ihren weißen Schenkeln standen. Die ausgestreckten Finger blieben für Augenblicke über ihrem Bauch, bedeckten die dunkle Scham. Dann stellte sie ein Bein außerhalb des schützenden Glases auf die ausgebreitete Matte, griff mit der Rechten ein nahe hängendes Badetuch, das sie sich dem Spiegel zuwendend über die Schulter legte, über die Haare streifte, die sie mit geschickten Griffen einwickelte. Jetzt stand ihr lang gedehnter Rücken vor meinen Augen, ich sah die scharfe Einbuchtung ihres Rückgrates, das mit einem weiten Schwung von den Schulterblättern hinab fiel, bis sie in die Spalte weit unten einmündete. Mein Herz blieb stehen,
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