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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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einen kleinen Anlauf genommen, krümmt sich während des Sprungs in die Hocke. Sekunden später liegt er ausgestreckt auf dem Gras und schüttelt sich vor Lachen. Lena war zu ihm gelaufen:
    »Hätte ich mich doch nicht in Dein Bett gelegt! Du scheinst darüber den Verstand verloren zu haben. Ihr Männer, einer dümmer als der andere!«
    Sie versucht mit aller Kraft, ihn aufzurichten.
    Kaum wieder auf den Beinen, humpelt Albert im Kreise um sie herum:
    »Du hast keinen Sinn für Höheres. Das war doch ein glücklicher Anfang! Stell Dir vor, wie der Sturmwind über die Büsche und Hecken fegt! Wenn er mich dann auf den Wipfel des Apfelbaumes hinaufträgt, bin ich der glücklichste Mensch der Welt! Wie oft habe ich das geträumt, aus eigener Kraft zu fliegen: Ikarus! Ich muss mir Flügel bauen, vielleicht ein Stahlgerüst wie die ersten Pioniere. Diese Idee . . .«
    Er purzelt kopfüber ins Gras, hält sich plötzlich jammernd den Fuß, am ganzen Körper bebend.
    »Der Herr der großen Worte!« schimpft Lena, »und wer muss ihn dann verbinden: Ich!«
    Sein rechter Fuß ist wohl verstaucht, da gibt es nichts zu rütteln. Und obwohl sie ihn dort, wo sich blaue Flecke über der Schwellung abzeichnen, ordentlich mit Salbe und Bandagen versorgt, muss der abendliche Tanz ausfallen. Der müde Krieger liegt ausgestreckt auf dem schmalen Sofa, seinen Kopf in ihren Schoß gebettet:
    »Na also, es hat sich doch gelohnt! In Deinem Schoß zu liegen, ist das Schönste, was ich mir jetzt wünschen kann!«
    »Und eben erst hast Du das Fliegen in höchsten Tönen gepriesen! Da wird die Wertschätzung meines Schoßes auch nicht lange anhalten!«
    »Dame schlägt Bube!«
    Sie lauschen versonnen den geheimnisvollen Melodien aus Kuba.
    Albert versucht einige Takte mitzusingen.
    »Das ist kein Spanisch, und Portugiesisch ist es auch nicht. Man hat den Mädchen den Sinn der Worte erklärt, die Sehnsucht nach der Heimat, diesen entlegenen Inseln, die auf den meisten Seekarten fehlten. Spürst Du diese Sehnsucht auch?«
    Er kichert, und Lena streicht zärtlich mit ihrer ausgestreckten Hand über seinen Mund.
    Früh am Abend gibt er vor, von den Abenteuern des Tages ermattet zu sein. Er kann es nicht erwarten, neben ihr im Bett zu liegen, sie zu umarmen und ihr Gesicht mit tausend Küssen zu bedecken.
    »Du zitterst ja am ganzen Körper«, murmelt Lena.
    »Vor Glück«, antwortet er.
    Später, sie liegen dicht aneinander geschmiegt, bettelt er hellwach:
    »Bitte erzähl mir von Dir. Ich weiß so wenig über Dich.«
    »Was willst Du wissen?«
    »Alles! Fang doch einfach an!«
    »Hm. Du verlangst viel von mir.«
    »Bitte, bitte . . .«
    »Aber wo soll ich beginnen? Gut, weil Du Dich so klug zeigst:
    Gut, ich bin ein Dummchen, habe keine ordentliche Schulbildung. Die Schwestern, bei denen ich aufwuchs, dachten sicher, das genügt. Vielleicht waren sie der Meinung, dass wir Mädchen auch wiederum Schwestern werden sollten. Oder viele Kinder in eine gottesfürchtige Welt setzen würden. Gut, das hätte mir gefallen. Niemals hätte ich eines dieser Verhütungsmittel zu mir genommen, von denen heute soviel die Rede ist und wovon schon kleine Mädchen, halbe Kinder noch, eifrig Gebrauch machen sollen. Nein, ich hätte mit Begeisterung viele Kinder in die Welt gesetzt, ein halbes Dutzend oder, wenn Gott will, mehr. Aber leider ist an mir das Wunder der Geburt vorbeigegangen, leider. So habe ich Christie als Geschenk erhalten, auch ein Wunder. Wie so vielen anderen Menschen wurde mir etwas anderes gegeben, als ich mir ersehnt hatte.
    Niemand hat mich gefragt, wo ich herkomme. Ich war froh darüber, denn was hätte ich sagen können! Tatsächlich komme ich nirgendwo her. Schon früh kam ich als Waise in ein katholisches Kinderheim. An die Zeit davor erinnere ich mich nicht, ich war noch zu klein. Nicht einmal eine Ahnung über meine Herkunft, meine Eltern ist mir geblieben. Der Geistliche, der uns zur Kommunion führte, sagte uns: Ihr seid Kinder Gottes! Er hat sich Eurer besonders angenommen. Seid stolz darauf! Gut, dachte ich, wenn der Priester in seiner schwarzen Kutte mit dem ernsten Gesicht recht hat, dann hätte ich trotzdem gerne Vater, Mutter und sogar Schwester und Bruder. Denn die sind im Gegensatz zu Gott aus Fleisch und Blut und die kann man anfassen. Und alles, was man anfassen kann, vermag ich leichter zu begreifen. Und vor allem: Sie sind da und sie gehören mir. Und Gott ist weit fort, unsichtbar, und er gehört allen. Gott schwebt über
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