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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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sprachlosen Jakob, dass ich mich um die Adoption einer Tochter bemüht hätte, der Antrag wäre schon unterwegs. Wenn er meinen Wunsch, meinen ersten Wunsch von Bedeutung, dem ich ihm nach vielen Jahren des Ehelebens vortragen würde, nicht mittragen wollte, hätte ich ihn verlassen und ihm für immer den Rücken zugekehrt. Einige Wochen wurde zwischen uns nur noch das Notwendigste gesprochen, manchmal fiel tagelang kein Wort zwischen uns. Aber dann kam Christie ins Haus, ein kleines Paket Mensch, noch kein halbes Jahr alt. Ich sagte zu meinem Mann:
    >Hier ist ein Kind Gottes. Und ihr Name ist Christie.<
    Da lächelte er für einen Augenblick. Später sah ich, wie seine Fingerspitzen heimlich ihre Stirn, ihre Wangen berührten. Und bei dem Empfang der heiligen Taufe nahm er sie, allerdings nur für wenige Augenblicke, in seine Arme. So wurde Christie seine Tochter, auf die besondere Art dieses Mannes.
    Von nun an war Christie meine ganze Freude, und sie ist es geblieben bis zum heutigen Tag. Der zweite Bote in meinem Leben, und auch dieser überstrahlte meine Tage. Und ihn, sie, meine Tochter durfte ich anfassen und streicheln nach Herzenslust.
    Christie war ein gutes Kind, verständnisvoll und fröhlich. Und von einem kindlichen Wissen ausgestattet, dass ich manchmal den Eindruck erhielt, als ob sie schon früh den Handel durchschauen würde, den wir mit ihr vorgenommen hatten. Aber offenbar ging die Rechnung zu meinen Gunsten aus. Ihr strahlendes Lächeln, ihre warmen Händchen, die meinen Hals tätschelten, wenn ich sie durch die Wohnung trug, schenkten mir täglich aufs Neue ihre Liebe, aber auch ihre Dankbarkeit.
    Unsere Beziehung änderte sich, als Glorie in ihr Leben trat. Da war Christie bereits ein großes Mädchen, mit ihrer Klugheit mir schon einen Schritt voraus. Später sollten aus ihrer Klugheit mehrere Schritte werden, die, obwohl sie unleugbar zwischen uns standen, niemals uns trennten. Mehr und mehr entschied Christie sich für Glories Familie, wobei niemals klar wurde, ob sie die Drängende war oder ob es vielmehr Glorie selbst war, die Christie in ihren Bann zog. Wenn man die beiden zusammen sah, wie sie untergehakt ihres Weges gingen, genügte ein Blick, um zu erkennen, dass sie zusammengehörten: Schwestern im Geiste, aber auch Schwestern von Fleisch und Blut. Zwei grazile, hochgewachsene Engel, zwei Himmelsboten, welche die Herzen anrührten mit ihren langen blonden Haarmähnen, in denen der Wind spielte. Sie schienen für einander bestimmt.
    Dann lernte ich Dich, Glories Vater, kennen, auch wenn wir uns nur für wenige Augenblicke sahen. Du standest damals nachdenklich auf der Schwelle unserer Wohnung, den Kopf leicht nach vorne gebeugt, ein fast unmerkliches Lächeln auf den Lippen. Schön warst Du. Aber die Augen waren es, die mich tief anrührten, ein Blick, der von weit her zu kommen schien, ein Blick, der alles sah, aber nicht anklagte. Ein Blick, der verzieh. Du standest ein wenig verlegen vor mir, aber mit einer Ruhe, als wenn wir schon lange miteinander vertraut gewesen wären. Du warst Glories Vater, doch ich wusste, dass Christie Dich ebenfalls in ihren Träumen längst zu ihrem eigenen Vater gemacht hatte. Es bedurfte keiner weiteren Erklärung. Aber wie Du mit Glorie warst, rührte mein Herz. Und ich wusste mehr, als Du dachtest. Du öffnetest ein wenig die Arme, nicht fordernd, nur ein wenig so: Ich halte Dich jetzt fest, aber nur wenn Du willst. Du liebtest. Ich spürte, wie nur eine Frau es kann, dass Du lieben kannst.
    Christie hatte uns, ohne es zu wollen, zusammengeführt. Damals haben wir nur wenige Worte gewechselt, belanglose wohl. Dann hast Du Deine Hände mit den feinen, langen Fingern leicht auf meine Schultern gelegt, bevor ihr, Glorie und Du, Glorie ihren Kopf an Dich geschmiegt, in dem dunklen Flur unseres Hauses verschwunden seid. Und ich spürte, wie sehr die Düsternis Glorie damals bereits wie eine unheilbringende Fee an sich zog.
    Ich bitte Dich, es war unmöglich, Dich nicht zu lieben. Von Anfang an. Eine unerreichbare Liebe, natürlich, daran gab es nichts zu deuteln, aber es kümmerte mich nicht. Denn ich hatte mich bereits entschieden: Besser eine unerreichbare Liebe, als eine Liebe, die Stück für Stück in Fetzen gerissen würde, bis nichts mehr da ist als Leere und Einsamkeit. Glaub mir, Albert, für mich warst Du der dritte Bote!«
    Lena hält inne, die Stille neben ihr ist fast zu vernehmen. Mein Gott, denkt sie, da hole ich zu der längsten Rede meines
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