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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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verzeihen. Aber wenn Du, Geliebter, die Freiheit von mir verlangst, dann sage nur ein Wort. Ich darf Dir auf der kleinen Wegstrecke, die vor uns liegt, keine weitere Last sein.
    Ein Wort auch zu unserem Sohn, zu Anton. Ich sah mit Unmut, wie er von klein auf in Deinem Schatten stand, ein Schatten, den Du, Du Aufrechter, nie feststellen wolltest. Aber der Schatten eines Vaters auf den heranwachsenden Sohn kann der dunkelste Schatten von allen Schatten sein. Und Du liebtest Glorie von ganzem Herzen, wo blieb da Platz für anderes? So schlug ich mich auf seine Seite. Ich wollte ihn schützen.
    Wie endlich unser Leben ist! Willst Du die kleine Endlichkeit, die uns verbleibt, mit mir teilen? Ich bitte darum . . . Deine Ann, die von ganz früher und, wenn Du willst, die von Morgen.«
    Alberts Stimme erlischt. Es ist ihm nicht bewusst, dass er deutlich vernehmbar den Inhalt des Schreibens, Wort für Wort, vorgelesen hat. Der alte Mann sieht zu Lena hinüber, bis sie endlich ihren Kopf senkt. Sie sitzt in sich gekauert auf ihrem Stuhl, unbeweglich, weiß: Er wird mich verlassen! Ich habe es geahnt. Er geht zurück!
    Er bleibt noch einen Tag, sagt nichts. Am frühen Abend gehen sie in den Wald, sprechen kaum ein Wort. Aber immer wieder ergreift er ihre Hand, und sie spürt mit klopfendem Herzen, wie die seine zittert. Er braucht mich, denkt sie, wie sehr er mich braucht! Sie möchte etwas sagen, aber die Worte ersticken in ihrer Kehle, die wie zugeschnürt ist, so, dass es sie schmerzt und sie mit ihrer Linken immer wieder an ihren Hals fassen muss.
    Sie sehen weit unten im dunkler werdenden Tal zum ersten Mal Rehe, der Hirsch grast nahe des Dickichts, sieht immer wieder zurück. Albert und Lena wagen kaum aus den Bäumen hervorzutreten. Sie halten den Atem an, bewegen sich langsam und langsamer. Dann stehen sie still, regungslos. Ein Rehkitz steht vor ihnen, sieht sie an, sie können deutlich in die Tiefe seiner Augen schauen. Dann hoppelt es davon. Die Rehe grasen weiter. Plötzlich wirft der Hirsch den Kopf herum, stößt einen kurzen, bellenden Schrei aus, und die Herde verschwindet in Sekundenschnelle im Dickicht, so, als wäre sie niemals hier gewesen.
    Sie steigen auf den Hochstand, nahe dort, wo der Hirsch stand, sitzen eng nebeneinander gekauert auf dem schmalen Brett, vornüber gelehnt, schauen angespannt nach unten. Doch die Rehe sind gewarnt, sie kommen nicht zurück.
    Der Abend ist in das Tal eingefallen. Es wird kühl, es ist an der Zeit, aufzubrechen. Mit Wehmut im Herzen klettern sie zum Boden zurück, Albert steigt vorsichtig die hölzerne Leiter hinunter. Er wirft dem Hochstand einen langen Blick nach: Ob er noch einmal dort oben sitzen wird? So glücklich wie heute? Dann folgt er Lena, die ihn durch das Dunkel des Waldes führt. Sie kennt sich aus auf Schritt und Tritt, mit ihr kann er sich nicht verlaufen.
    Er ist zurückgeblieben, sie dreht sich nicht um nach ihm, stampft unverdrossen mit ihren kurzen, festen Beinen nach vorne. Als er sie einholt, ist er außer Atem:
    »Mit Dir ist man in Sicherheit. Wie schade! Ich würde so gerne . . .«
    »Ihr Männer! Ein kleiner Umweg da, ein kleiner Umweg dort! Das Ziel kann warten!«
    »Du weißt es besser als ich . . .«
    »Du weißt es genauso gut, also lüg mich nicht an! Nur die Zeit . . . Wenn Du Dir mehr Zeit nimmst, Zeit für ein wenig mehr Spaß, da und dort und hier und da!«
    Ihre Stimme hat sich beinah überschlagen. So kennt er sie noch nicht. Er schweigt betreten. Als sie den Riesenameisenhaufen am Ende des Waldes erreichen, hält Albert an, bleibt lange nachdenklich vor dem hoch aufgeschichteten, geheimnisvollen Gehäuse von Tausenden und Abertausenden stehen.
    Ein wilder Stoß könnte es vernichten, das Geheimnis preisgeben. Er harrt lange aus, grübelt, obwohl es Nacht geworden und Lena längst vorausgeeilt ist. Endlich tastet er sich die letzten Schritte durch die Bäume, bis ihn ein fahles Licht oben auf der Kuppe umfängt. Seine Lippen bewegen sich. Er spricht mit sich selbst. Gibt Rede und Widerrede, erregt sich, klatscht mit der ausgestreckten Hand auf seine Wange, beißt sich, um den aufsteigenden Zorn zu bändigen, mit den Zähnen auf die Lippe, bis es schmerzt und es von seinem Kinn warm heruntertropft.
    Unten im Haus leuchten Lichter auf in der Dunkelheit, Lena ist längst zu Hause angekommen. Das Licht beruhigt ihn, er trottet müde den leichten Abhang über die Wiese heim zu ihr.
    In der Nacht schlafen sie in ihren Zimmern, lassen aber
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