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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena
Autoren: Alfred Neven DuMont
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uns, das spüre ich, aber ich kann ihn nicht begreifen.
    Eine der Schwestern in unserem Heim liebte ich, ja, ich vergötterte sie: Marie, die jüngste aller Schwestern. Ich glaube, sie erwiderte meine Liebe. Ihre sanfte Stimme, in der soviel Verständnis verborgen schien, ihr helles, lockiges Haar, wenn sie es unter ihrer Haube hervorholte und mir zeigte, begeisterte mich. Sie schenkte mir gelegentlich ihr bezauberndes Lächeln, wenn niemand es sehen konnte, drückte meine Hand oder strich mir über den Rücken, leicht und ohne Hast. Einmal hauchte sie mir einen Kuss auf die Stirn. Da wusste ich, dass ich gerettet bin. Aber unsere Liebe hatte ein Geheimnis zu bleiben. Alle Liebe im Heim musste Gott gehören. Später glaubte ich, Marie sei von Gott gesandt. Ja, das glaubte ich. Und auch heute noch glaube ich es. Wer Gott zu erkennen vermag, wer ihn begreift, so wie ich, achtet auf seine Boten, auf die himmlischen Sendboten. Man achtet auf sie, mit Bereitschaft und größter Aufmerksamkeit: Marie war ein solcher Bote, später Christie, als sie in meinen Armen lag, und dann endlich Du, Albert, als ich zum ersten Mal in Deine Augen sah.
    Einmal täuschte ich mich, als ich in jungen Jahren Jakob, meinem Mann, begegnete. Für diese Täuschung wurde ich von Gott streng bestraft. Ich war außer mir vor Liebe, wenn er nur in meine Nähe kam. Das, was ich damals als Liebe empfand. Später erkannte ich, dass dies, dumm wie ich gewesen war, keine echte Liebe war, sondern nur Begehren. Ich war wie blind. Eine irrige Liebe, die mich wegführte von mir selbst und von meiner Seele. Das aber genügt Gott offenbar nicht.
    Als ich Jakob zum Mann nahm, habe ich mich getäuscht. Von Tag zu Tag splitterte die Fassade: Er blieb aufrecht, blieb ein Christ, aber ein strenger Christ, dem die Reue, die Vergeltung, die Sühne vor der Liebe ging. Und er verlor sein Gesicht, jenes, welches ich mir von ihm gemacht hatte. Und jenes, das mir die Sinne geraubt hatte, mein Begehren weckte, wurde von ihm streng zurückgewiesen, weil er sich jeder Lust schämte, von Sünde sprach, obwohl wir Mann und Frau waren. Ja, seine Stimme war sanft, aber dahinter lauerte die Wucht seines Glaubens. Ein Glaube, der aus einer alttestamentarischen Zeit stammte, wo die Erbsünde, die Unreinheit der Frau herkommt, wo sie keusch zu sein hat, ohne innere Regung und dem Mann untertan. So habe ich mich ergeben. Was hätte ich anderes tun können! Und ich machte mich meinerseits sündig, als ich seinen Tod nicht mit Trauer aufnahm, sondern als Befreiung. Dann hat Gott mir erlaubt, ein neues Leben zu führen:
    Mein Leben!
    Doch habe ich erfahren, wenn Mann und Frau ohne Liebe zusammen liegen, dass darüber kein neues Leben entsteht, dass daraus nicht das Wunder eines Lebens folgt: ein neuer Mensch. So blieben wir kinderlos, was über die Jahre unsere Ehe mehr und mehr beschwerte und uns die letzte Freude des Zusammenlebens stahl. Als Jakobs nächtliche Bemühungen fruchtlos blieben, predigte er mir Enthaltsamkeit. Auf den Gedanken, einen Arzt aufzusuchen, um dem Versagen vielleicht auf die Spur zu kommen, wäre er nicht gekommen. Als ich ihm anbot, wenigstens mich untersuchen zu lassen, wies er mich streng zurück. Nein, auf keinen Fall sollte Gottes Wille von Menschenhand gestört werden. So lag ich unberührt viele Nächte allein. Doch er vermochte seine hohen Vorsätze nicht zu erfüllen, wie er es sich gewünscht hatte. Von Mal zu Mal ergriff ihn der Taumel mitten in der Nacht, ohne eine kleine Geste, ein gutes Wort war er plötzlich da in der Dunkelheit, schob meine Beine auseinander und fiel über mich her. Auch meine Schmerzensschreie konnten ihn nicht aufhalten. Jakob wurde noch schweigsamer zu Hause, zog sich länger zurück zu seinen Gebeten und lebte nur auf, wenn er sich zu den Proben und Vorstellungen des Kirchenchores auf den Weg machte. Über seine Arbeit als Lehrer wurde nie gesprochen, dieser Bereich blieb mir von Anfang an verschlossen.
    Die Adoption eines Kindes war zwischen uns ein Thema, das erst nach einer langen Zeit des Bettelns und der Tränen von ihm akzeptiert wurde. Er wehrte die Möglichkeit eines solchen Schrittes brüsk ab: Gott hatte es anders entschieden! Aus! Da gab es nichts zu reden. Das waren seine Worte. Und er blieb mir fern. Irgendwann erhob sich in mir ein Zorn, wie ich ihn nie gekannt hatte: Ich wollte ein Kind. Und wenn nicht durch seinen Samen, dann eben ein Kind, so wie ich es gewesen war: ein Kind Gottes! Ich erklärte einem
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