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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco
Autoren: Richard Dübell
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1
    Der schwarze Sklave, das Faktotum in Michael Manfridus’ Herberge, eilte herein und flüsterte seinem Herrn etwas ins Ohr. Manfridus erbleichte und warf Enrico Dandolo einen betroffenen Blick zu, und ich ahnte, dass alle Ratschläge, die ich ihnen hätte geben können, vergeblich gewesen wären.
    Die Ratschläge, wie Enrico Dandolo seinen seit zwei Tagen verschwundenen Neffen Pegno wiederfinden könnte.
    Moro, der schwarze Sklave, richtete sich auf und stürzte wieder hinaus, von Enrico Dandolo beunruhigt beobachtet. Dandolos Nervosität war ihm bereits anzumerken gewesen, als wir einander vorgestellt worden waren, und das Erscheinen von Manfridus’ Haussklaven hatte sie eher noch verstärkt. Michael Manfridus räusperte sich. Er sah mich verlegen an und wandte sich dann zögernd an Dandolo. Er hatte keine guten Neuigkeiten erfahren.
    Als er schließlich in dem für mich nur schwer verständlichen venezianischen Dialekt, den er so gut beherrschte wie die Einwohner der Lagunenstadt, zu sprechen begann, weiteten sich Dandolos Augen, und er sank in sich zusammen. Manfridus verzog das Gesicht voller Mitleid.
    »Was ist passiert?«, fragte ich.
    Manfridus schob die Oberlippe vor. »Im Arsenal wurde vor etwa einer Stunde eine Leiche geborgen; Wachen haben sie im See San Daniele gefunden. Es handelt sich um einen Jungen.«
    »Pegno«, sagte ich grimmig.
    Manfridus zuckte unglücklich mit den Schultern. Dandolo starrte mit leerem Blick vor sich hin, doch dann raffte er sich auf. Er erhob sich von der Bank, sagte etwas zu Manfridus und wandte sich dann mir zu. Manfridus stand ebenfalls auf.
    »Messèr Dandolo will sofort zum Arsenal und nachsehen, ob der Tote wirklich sein Neffe ist. Er fragt, ob Sie mitkommen.«
    »Was kann ich schon tun? Ich weiß nicht mal, wie der Junge aussieht.«
    »Messèr Dandolo hält große Stücke auf Sie. Ich komme ebenfalls mit und werde übersetzen.«
    Dandolo hielt nur deshalb große Stücke auf mich, weil Manfridus ihm meine Person in den glühendsten Farben geschildert hatte. Der Mann hatte mich nie zuvor im Leben gesehen, Manfridus hingegen hatte jedes noch so entstellte Detail von Janas und meiner Verwicklung in den Aufstand gegen Lorenzo de’ Medici in Florenz mit Begeisterung aufgenommen und Dandolo eine entsprechende Beschreibung von mir gegeben: Peter Bernward, der Aufklärer auch der verwickeltsten Fälle, der Mann, der Lorenzos Rachedurst die Stirn geboten hatte; überflüssig zu erwähnen, dass kaum etwas von dem, was in der deutschen Kolonie Venedigs über Jana und mich erzählt wurde, auch nur annähernd der Wahrheit entsprach. Doch nun war nicht der richtige Zeitpunkt, Manfridus und Dandolo darüber in Kenntnis zu setzen. Ich seufzte und stand ebenfalls auf.
    Dandolo brachte ein dankbares Lächeln zustande, das die dunklen Ringe unter seinen Augen und die Fahlheit seines Gesichts noch betonte.
    »Sono lo zio« , sagte er langsam und faltete die Hände. »Sono com’ un altro papa. Sono responsabile. Sono disperato.«
    »Er sagt, er ist …«, begann Manfridus.
    »Ich habe ihn schon verstanden.«
    Dandolo nahm seinen gestreiften Stoffhut, dessen Farben mit seinem Gewand und der gefältelten Tunika harmonierten, und drückte ihn an seine Brust. Er war entweder rettungslos eitel, oder er hatte sich für das Treffen mit mir besonders zurechtgemacht; er war eine elegante, vor Geschmeide funkelnde Erscheinung, schwarz und rosafarben. Ich konnte beides nicht leiden. An seiner Hüfte blitzte das Gehänge eines Schmuckdolchs mit den Ringen an seinen Fingern und der Kette um seinen Hals um die Wette. Er atmete tief ein und schritt dann zur Tür von Manfridus’ Schankstube. Manfridus rief nach jemandem von seinem Gesinde.
    »Sollte Jana erwachen, lassen Sie ihr bitte ausrichten, wo ich bin«, bat ich ihn. »Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen macht.«
    Manfridus nickte und machte gleichzeitig ein schuldbewusstes Gesicht. »Das ist mir peinlich. Neben dem ganzen Unglück der Dandolos habe ich gar nicht mehr an Ihre Gefährtin gedacht. Wie geht es ihr jetzt? Meine Frau kümmert sich um sie, als wäre sie ihre Schwester, das kann ich Ihnen versichern.«
    »Ich weiß es zu schätzen.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen, wahrscheinlich hat die Reise sie erschöpft.«
    »Natürlich.« Ich fragte mich, ob meine Erwiderung ebenso platt klang wie Manfridus’ beruhigende Worte. Natürlich war ich besorgt. Wahrscheinlich hatten sich Manfridus’ Gedanken bereits wieder dem näher liegenden
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