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Radio Nights

Radio Nights

Titel: Radio Nights
Autoren: Tom Liehr
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geschlagen. Meine Sendung
Nachtratten
erreichte alle, war die einzige Nachtsendung in der Stadt, die überhaupt Hörer hatte, richtige Quoten. Lange Moderationen,
     viel Gespräch, geringer Musikanteil, aber der vom allerfeinsten, fast keine sogenannten Hits.
Gläsernes Studio?
So überflüssig wie Kondomautomaten in Altenheimen.
    Ich schmiß mich rückwärts in den Stuhl, der Mini-Aschenbecher machte einen Abgang von der Lehne, auch egal, ich zündete, jetzt
     deutlich zittrig, die nächste Camel an, obwohl ich irgendwie der Meinung war, gerade eine angemacht zu haben.
    Fuckfuckfuck
. Ich Idiot mit meinem Konzept – nichts lag ihm ferner. Vögler wollte assimilieren, assimiliert werden. Die
Borg
hatten ihn erwischt. Der einzige Sender mit Gesicht in Berlin würde im Brei untergehen.
Nicht mit mir
, war mein nächster Gedanke, und dann wieder:
Warum
? Verdammt, dies hier war auch
mein
Sender.
    »Warum?« fragte ich schwach. »Warum denn nur?« Rechts vorne vor meinem Stuhl qualmte es am Boden, und ich trampelte blind
     mit dem Fuß herum, bis es aufhörte.
    Vögler grinste jetzt, seine Augen blitzten fies.
    »Es würde nicht mehr lange gutgehen. Unsere Zielgruppe wird älter, hört auf, Radio zu hören, konzentriert sich auf andere
     Dinge,
wechselt den Musikgeschmack

    »Quatsch!« blaffte ich. Das war ein übles Gerücht: Wenn man älter wird, hört man plötzlich total bescheuerte Musik. Ich hatte
     das nie glauben wollen. Eine meiner ganz großen Ängste: mich mit sechzig, fünfundsechzig dabei zu erwischen, wie ich zu
Stefanie Hertel
oder den
Wildecker Herzbuben
mit dem Fuß wippe. Niemals.
    |24| Vöglers Grinsen war jetzt ziemlich breit, immer noch, ohne daß er das restliche Gesicht verzog. Ihm schien diese Scheiße Spaß
     zu machen. »Hauptsächlich jedoch aus wirtschaftlichen Erwägungen. Verdrängungswettbewerb. Ich habe ein paar sehr dicke Fische
     in Aussicht, eigentlich sogar schon sicher, die wir exklusiv bekommen, wenn wir konzeptionell in Vorleistung gehen. Das würde
     unseren ärgsten Konkurrenten ganz schön das Wasser abgraben.«
    »Wir
haben
überhaupt keine Konkurrenten«, protestierte ich, während mir ganz allmählich klar wurde, was hier lief, und ich ein übles
     Kribbeln im Nacken verspürte.
    Außerdem erzählte Vögler Scheiße:
Boulevard Berlin
, der Zweitplazierte, war ein überaus langweiliges, schlecht gemachtes Middle-Of-The-Road-Radio für eine Zielgruppe kurz vor
     dem Ruhestand.
HipPop
und
Sound
waren quotenmäßig noch Meilen hinter uns. Die paar öffentlich-rechtlichen, die sich in diesen Zielgruppenregionen umtaten,
     wurden nicht mal von den eigenen Mitarbeitern gehört. Auf den vorderen Rängen tummelte sich – außer uns – weitestgehend sauberes
     Familienradio, das
adult contemporary
spielte, Mainstream für Erwachsene. Es
gab
keine Konkurrenz. Wir waren der Porsche unter den Berliner Radiostationen.
    Vögler brachte die böse Vier-Worte-Formel, das Totschlagargument ins Spiel: »Es ist beschlossene Sache.«
    Wir beäugten uns gegenseitig, ich sackte in mich zusammen, dachte an die zurückliegenden Jahre – unseren Erfolg, unser Engagement,
     den Riesenstreß am Anfang. Alles Schauspielerei?
Doch
ein gewiefter Geschäftsmann, der mir nur jahrelang den Radiofreak vorgespielt hatte, den Rocker? Natürlich war Vögler clever,
     das hatte ich gewußt – und gleichzeitig irgendwie – bis gerade eben – geglaubt, nun gut, eher gehofft, wir wären seelenverwandt.
     Daß uns beiden das Medium wichtiger wäre als alles andere. Verflucht, das meiste, was
PowerRock Berlin
ausmachte, hatte mit mir zu tun, meinen Ideen, meinen Vorschlägen, die ich manchmal sogar gegen Vögler durchsetzen mußte,
     schließlich aber mit ihm |25| durchzog. Ich hatte die Leute zusammengesucht. Discjockeys ausgebildet, bis zum Gehtnichtmehr, Volldeppen, die Radiostars
     wurden. Lindsey nach Deutschland geholt, den armen Kerl. Was passierte hier?
    Ich sagte nichts. Was auch? Jede Drohung wäre verpufft – ich hatte nichts, womit ich drohen konnte, nicht mehr, das wurde
     zunehmend deutlich.
    »Wir können das Schema auch nachts nicht halten. Da müssen wir
special interest
machen. Vielleicht ein paar Sendeplätze abgeben. Aus politischen Gründen.«
    Ich wußte einfach nichts mehr zu erwidern. Er erzählte davon, mich
behalten
zu wollen. Und: »Du könntest in die Morgenschiene einsteigen. Als Co-Moderator. Ich versuche, Clemens Ziegler für das Morgenprogramm
     zu bekommen.«
    Ich staunte
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